Kritiker befürchten Scheitern der FIFA-Reform
Zürich (dpa) - Aus der vollmundig angekündigten „Jahrhundert-Reform“ des Fußball-Weltverbandes ist längst ein Reförmchen geworden - und nun kommen auch noch neue Vorwürfe auf den Tisch.
Wenige Stunden vor der entscheidenden Sitzung des FIFA-Exekutivkomitees am Mittwoch und Donnerstag in Zürich, bei der die abgespeckten Reformanträge an den Kongress Ende Mai abgesegnet werden sollen, hat die Anti-Korruptions-Expertin Alexandra Wrage offenen Sexismus und mangelnden Reformwillen in der FIFA beklagt.
„Es besteht die Gefahr, dass die Reform scheitert. Die Sorge ist immer, dass so ein Projekt so endet, dass nur die Liegstühle auf der "Titanic" umgruppiert werden. Dass es kosmetische Verbesserungen ohne echte Veränderungen gibt“, warnte Wrage in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“.
Zudem hielt das Mitglied der FIFA-Reformgruppe der Altherrenriege in der Verbandsführung den Spiegel vor. „Mir wurde sogar sehr direkt beschieden, dass eine Frau für eine der beiden Spitzenpositionen in der neuen Ethik-Kommission inakzeptabel sei. Ein krasseres Beispiel für Sexismus kann ich mir nicht vorstellen“, kritisierte die Kanadierin.
Auch den Maulkorberlass gegen Chefkontrolleur Mark Pieth durch FIFA-Boss Joseph Blatter rügte sie scharf: „Ich akzeptiere gewiss nicht, dass mir jemand sagt, wann ich öffentlich reden kann und wann nicht.“ Pieth war von Blatter öffentlich zurückgepfiffen worden, nachdem er vor einem Scheitern des Reformprozesses gewarnt und hohe Funktionäre verbal attackiert hatte.
Gut zwei Jahre nach der umstrittenen WM-Vergabe an Katar 2022 und acht Monate nach der Erschütterung durch den Korruptionsskandal um hohe FIFA-Funktionäre ist der Wille zur Erneuerung nach Ansicht von Pieth und Wrage kaum noch wahrnehmbar. Praktisch vom Tisch ist eine angedachte Altersgrenze für die Mitglieder des mächtigen Exekutivkomitees, das sich auch für den Vorschlag nicht recht erwärmen kann, die Weltmeisterschaften künftig durch den Kongress zu vergeben.
Ebenfalls ablehnend stehen die hohen Herren der FIFA einer externen Integritätsprüfung gegenüber. Sie wollen das lieber intern regeln. „Die FIFA ist keine Organisation, die Transparenz gepflegt hat. Sie hat keine Tradition der Aufsicht. Jetzt müssen wir hoffen, dass diese Leute - freiwillig - dramatische innere Veränderungen akzeptieren“, sagte Wrage.
Selbst Theo Zwanziger, der die Reformbemühungen als deutsches Mitglied des Exekutivkomitees intensiv begleitet und als Leiter der Statutenkommission vorangetrieben hat, sieht noch in einigen Bereichen Nachholbedarf. „Offen ist die wichtige Entscheidung zur Amtszeitbegrenzung. Wenn es bei der Beschränkung nur für den FIFA-Präsidenten bleibt, dann wäre das schon ein bisschen wenig. Das muss noch angespeckt werden“, sagte Zwanziger der Nachrichtenagentur dpa.
Insgesamt sei er mit dem aktuellen Stand des Reformprozesses aber zufrieden. „Es gibt eine Weichenstellung. Wir haben viele maßgebliche Schritte längst gemacht. Eigentlich geht es mittlerweile nur noch um zwei, drei Punkte, die angepasst werden müssen“, erklärte Zwanziger. Er räumte aber ein, dass nicht alle Vorstellungen umgesetzt wurden: „Es war nicht leicht, wenn man sieht, welche Ziele am Anfang des Weges formuliert worden sind.“
Wrage macht die Spitzenfunktionäre für die schleppenden Fortschritte bei den groß angelegten Aufräumarbeiten verantwortlich. „Mächtige Personen sind beteiligt, und der Prozess ist kein Erfolg, bevor nicht die nötigen Kontrollsysteme arbeiten. Das kann sogar unter idealen Bedingungen dauern - und hier haben wir keine idealen Bedingungen“, stellte sie fest.
Denn die Reform ist längst zum Spielball der unterschiedlichen Interessen geworden. Ausgerechnet die Europäische Fußball-Union (UEFA) um Präsident Michel Platini, der als heißer Kandidat für die Nachfolge von FIFA-Boss Joseph Blatter gehandelt wird, entpuppte sich zuletzt als Bremser. „Die UEFA-Aussagen darüber, welche Reformen sie unterstützt und welche nicht, waren erschreckend. Es ist zu früh zu sagen, dass sie blockieren, aber ihr Vorgehen war nicht hilfreich“, kritisierte Wrage.
Unter anderen verweigerte die UEFA dem Vorschlag, die Amtszeit des FIFA-Präsidenten auf acht Jahre zu beschränken, ihre Zustimmung. Sie plädiert für zwölf Jahre, was angesichts der Ambitionen Platinis nicht verwundert. Wrage warnte daher eindringlich: „Mündet dieser Prozess nicht in eine unabhängige Aufsicht, kann jeder Fortschritt, der erzielt wurde, problemlos rückgängig gemacht werden.“