Niersbach-Rücktritt nur Schritt - Reformbedarf bleibt
Frankfurt/Main (dpa) - Für Wolfgang Niersbach war es die Endstation. Seine Kollegen aus dem DFB-Präsidium und die Fußball-Landesfürsten landeten auf dem Weg zu den Notsitzungen in einer Sackgasse.
Die geografische Lage der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes am Ende einer Stichstraße im Frankfurter Stadtwald ist in der durch den WM-Skandal ausgelösten DFB-Krise ein Sinnbild der diffizilen Situation des größten Sportfachverbandes der Welt. Daran ändert auch die Demission von Niersbach nichts. Der DFB muss seine Strukturen und gerade seine Kontrollmechanismen überdenken, will er dem mit Verve zelebrierten Selbstbild als gesellschaftlich relevante Kraft wieder gerecht werden.
„Vor drei Wochen war der DFB noch eine Art Leuchtturm. Es gab die Hoffnung, dass man Reformen im Weltfußball über den DFB und seine Standards würde etablieren können“, sagte der Philosoph Wolfram Eilenberger schon vor dem Rücktritt Niersbachs bei Sport1. „Dieses Kartenhaus ist nun natürlich vollkommen in sich zusammengebrochen. Wir bewegen uns seit drei Wochen zwischen Tragik und Farce.“
Tragik und Farce: Gerade Niersbach verkörperte diese Begrifflichkeiten - auch mit seinem für einen Medienprofi erschreckend schwachen Krisenmanagement. „Der Fußball ist in Deutschland so beliebt wie nie“, sagte er noch voller Stolz bei der Präsentation der neuen Mitgliederstatistik im August. 6 889 115 Menschen in 25 324 Vereinen. Diese Zahlen belegen die ungebrochene Beliebtheit des Fußballs in Deutschland. Und vermutlich werden auch die Einblicke in die Geschäftskultur rund um das WM-Sommermärchen daran nichts ändern.
Dennoch wird schonungslos offenbar, dass auch die Macher im DFB - von Niersbach bis hin zur Lichtgestalt Franz Beckenbauer - die Mechanismen im knallharten Milliardengeschäft entweder nutzten, tolerierten oder zumindest ihnen lammfromm gehorchten. Schonungslose Aufklärung versprach der DFB gleich zu Beginn der Affäre um die dubiose Millionenzahlung von 6,7 Millionen Euro von und an den ehemaligen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus.
Ob die Geldflüsse durch Staatsanwaltschaft oder die vom DFB beauftragen Wirtschaftsjuristen jemals komplett geklärt werden können, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch, dass der DFB in seiner momentanen Form keine internen Instrumente besitzt den Ansprüchen einer modernen Unternehmensführung gerecht zu werden. Und das bei Millionen-Umsätzen und der Aussicht auf einen Sponsorvertrag in Milliardenhöhe mit Adidas oder Nike als Ausrüster für das Vier-Sterne-Glitzerprodukt Nationalmannschaft.
Die Anzeichen einer für Sportverbände typischen Parallelgesellschaft, in der wenig Platz für einen von einer Opposition öffentlichen getragenen Diskurs besteht, sind beim DFB unverkennbar. Erst jetzt traut sich der heutige Generalsekretär Helmut Sandrock von einer „Schreckensherrschaft“ unter Niersbachs Vorgänger Theo Zwanziger zu sprechen - als dieser an der Otto-Fleck-Schneise regierte, wagte keiner kritische Töne.
Bis zum Montag kamen auch noch keine kritischen Worte aus der Reihe der Fußball-Funktionäre an Niersbach - umso überraschender war dann seine Demission. Aus der Deckung wird sich beim DFB eigentlich erst gewagt, wenn sich die Machtbalance in die günstige Richtung neigt. So konnte der DFB in den vergangenen Wochen nicht dem Bild entgegenwirken, den Prinzipien von Alt-Männer-Bündnissen zu gehorchen. Niersbach werden kurz vor seinem 65. Geburtstag nun sicher Respekt und viele gute Wünsche in den Ruhestand begleiten.
Zu den Gremien, die am Montag die Krise berieten, gehörte in Hannelore Ratzeburg nur eine Frau und fast drei Dutzend Männer. Ausgerechnet der bei Demokratie-Forderungen immer vorweg marschierende DFB fällt mit so einer Quote sogar noch hinter den in Funktionärs-Trümmern liegenden Weltverband FIFA zurück.
Auch eine bei der FIFA mittlerweile offenbar funktionierende, unabhängige Ethikkommission wurde mit Verweis auf den existierenden Kontrollausschuss von Niersbach und Co. bislang rundweg abgelehnt. Die Mitglieder des bisherigen Kontrollgremiums kommen fast ausschließlich aus dem Funktionärszirkel des DFB und seiner Landesverbände. Jetzt wird angeblich in der Otto-Fleck-Schneise an einem Konzept für eine Ethikkommission getüftelt.
Vorschläge für eine neue, schlanke wie moderne Unternehmensstruktur werden auch diskutiert. Präsidenten nach Niersbach werden diesen Job auch de jure nicht mehr im Ehrenamt ausführen. Einfach werden Reformen aber nicht. Der ewige DFB-Spagat zwischen der Basis des Amateurfußballs, der oft genug nach dem Proporz-Prinzip geführt wird, und dem Showbusiness Profi-Fußball mit Nationalmannschaft und dem schon im Ligaverband ausgelagerten Bundesliga-Geschäft, wird dabei wieder im Zentrum stehen. Pfründe aufzugeben, entsprach noch nie dem Selbstverständnis der Fußball-Funktionäre. Auch Niersbach gab sein Amt nur „schweren Herzens“ auf.