Nur Herzblut? Kampf um deutsch-türkische Talente
Frankfurt/Main (dpa) - Von Druck will keiner was wissen, von Geld-Anreizen schon gar nicht - schließlich sei es eine „Herzensentscheidung“. Doch das Ringen um die in Deutschland geborene Fußball-Talente mit türkischen Wurzeln wird nicht erst seit der Entdeckung von Mesut Özil mit Nachdruck betrieben.
„Dass die Türken sehr aktiv sind, spürt man ja“, sagte Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff vor dem EM-Qualifikationsspiel Türkei - Deutschland in Istanbul. „Wenn einer eine gewisse Vorgehensweise hat, muss man die ja nicht auch haben. Wir können nicht kritisieren und im eigenen Haus es genau so machen“, ergänzte Bierhoff. „Wir sind unglaublich froh, das wir so viele Spieler mit Migrationshintergrund haben, die sich klar zu Deutschland bekennen.“
Zuletzt hatte DFB-Sportdirektor Matthias Sammer den Europa-Beauftragten des türkischen Fußball-Verbandes, Erdal Keser, angegangen („Herr Keser hat schon häufiger Blödsinn erzählt“). Da ging es um die Zukunft von deutschen U-17-Nationalspielern türkischer Herkunft. Der frühere Dortmunder Bundesliga-Profi Keser hat in Köln ein Büro und koordiniert 25 Scouts: Die fahnden auf dem ganzen Kontinent nach hoffnungsvollen Kickern mit türkischen Wurzeln - von 15 Jahren an aufwärts.
„In meinen Augen ist die Entscheidung für die Türkei oder für Deutschland eine Herzensangelegenheit“, sagte Keser in einem dpa-Interview. „Die Nationalmannschaft hat mit nationaler Identität zu tun, mit Herzblut. Nicht mit Heuchelei.“ Deshalb würden die Spieler auch alleine oder mit ihren Familien entscheiden, ohne Druck von Verbandsfunktionären oder Vereinsmanagern. Und finanzielle Anreize? „Wenn Geld bei so einer Entscheidung eine Rolle spielt, dann Gute Nacht! Das will doch keiner haben“, sagte der 50-Jährige.
Die Bundesliga-Profis Yidiray Bastürk (geboren in Herne), Hamit und Halil Altintop (geboren in Gelsenkirchen) hatten sich einst für die Türkei entschieden, ebenso wie der derzeit verletzte Nuri Sahin aus Lüdenscheid, Dortmunder Meisterprofi und jetzt bei Real Madrid. Zuletzt waren es der Bremer Mehmet Ekici (geboren in München) und der Leverkusener Ömer Toprak (geboren in Ravensburg).
Um Özil hatte sich der DFB intensiv bemüht: Am 11. Februar 2009 gab der heutige Star von Real Madrid beim 0:1 im Testspiel gegen Norwegen sein Debüt für Deutschland. Am 12. August wechselte ihn Bundestrainer Joachim Löw in Baku gegen Aserbaidschan (2:0) in der 84. Minute ein - damit war Özil nach den internationalen Regeln an den DFB gebunden.
Ob die Türken dem 22-Jährigen das noch übelnehmen? Beim 3:0 der im Hinspiel in Berlin war Özil von seinen Landsleuten ausgepfiffen worden. „Es ist gut möglich, dass wieder Leute pfeifen. Aber das belastet mich nicht“, sagte der in Gelsenkirchen aufgewachsene Sohn türkischer Einwanderer. Keser erklärte: „Bei uns ist jeder stolz auf den Jungen, auf einen türkischstämmigen Fußballer, der so eine Karriere macht. Aber natürlich kommt auch ein bisschen Wehmut auf, wenn er gegen uns spielt.“
Auch im Fall von Ilkay Gündogan wird wohl der DFB der Gewinner sein. Der Profi von Borussia Dortmund - noch einer aus Gelsenkirchen - soll nach dem U-21-Länderspiel zur A-Nationalmannschaft stoßen und könnte dort gegen Belgien sein Debüt geben. „Unsere Haltung ist klar, wir setzen niemanden unter gewissen Druck“, sagte Löw. „Wir zeigen ihnen die Möglichkeiten bei uns auf, ganz realistisch. Zu guter Letzt akzeptieren wir die Entscheidung.“ Auch er spricht von einer „Entscheidung aus dem Herzen“.
Gündogans früherer Nürnberger Mitspieler Ekici hat zwar alle deutschen „U-Teams“ von der U 17 an durchlaufen, ist aber nun für die Türkei im Einsatz und ebenso im Aufgebot gegen Deutschland wie Gökhan Töre vom Hamburger SV und Tunay Torun von Hertha BSC und Ömer Toprak. Der Leverkusener Innenverteidiger entschied sich jetzt für das Heimatland seiner Eltern. „Wir brauchen mehr von jenen Spielertypen, von denen der DFB im Moment genügend hat: Abwehrspieler mit Disziplin und Durchsetzungsvermögen“, sagte Keser.
Der türkische Nationaltrainer Guus Hiddink sagte unumwunden: „„Die Wahrscheinlichkeit ist natürlich viel höher, für die Türkei als für Deutschland zu spielen.“ Der Niederländer sprach in der „Bild am Sonntag“ von einem „speziellen Rennen“ des dreimaligen Weltmeisters Deutschland und des WM-Dritten von 2002. Sein Tipp an unentschlossene Fußballer: „Du musst auf dein Herz hören!“