Pulverfass FIFA: Blatter verlässt Pressekonferenz

Zürich (dpa) - Die FIFA-Regierung droht im eigenen Korruptionssumpf unterzugehen, doch der taumelnde Präsident will von einer Krise nichts wissen. „Krise? Was ist eine Krise?“, sagte der 75 Jahre alte Schweizer am Montagabend auf einer Pressekonferenz, die am Ende beinahe eskalierte.

Als Blatter sich weigerte, weitere Fragen zu beantworten, gab es laute Proteste der Journalisten. Schließlich stürmte der sichtbar leidende FIFA-Boss von der Bühne. Zuvor hatte Blatter in gewohnt staatsmännisch-nichtssagender Manier sämtliche Vorwürfe und Anschuldigungen, die die FIFA in den größten Skandal in ihrer 107-jährigen Geschichte manövriert hat, zurückgewiesen.

Die zur Farce verkommene Präsidentenwahl am Mittwoch verschieben? „Das muss der Kongress mit einer Dreiviertelmehrheit entscheiden.“ Korruption bei der Vergabe der WM 2022 an Katar? „Das Exekutivkomitee hat keine Probleme gesehen. Es gibt keinen Grund, dass die Wahl zur WM 2022 wiederholt werden muss.“

Seine angebliche Ein-Million-Dollar-Spende an den Kontinentalverband Nord- und Mittelamerika/Karibik (CONCACAF)? War eine Spende für wohltätige Projekte zum 50-jährigen Verbandsjubiläum. Nur an einem Punkt wurde Blatter wortkarg, als es um die E-Mail seines Generalsekretärs Jérôme Valcke ging, in der dieser angedeutet haben soll, dass Katar die WM 2022 gekauft habe.

„Diese Frage beantworte ich nicht und bitte Sie um Verständnis. Sie können mir Fragen stellen zu mir und meiner Person.“ Eine Verteidigungsrede klingt anders - fast scheint es, als könnte der Blatter-Gewährsmann Valcke in der Schlammschlacht mit untergehen.

Denn unmittelbar vor dem Kongress, bei dem sich Blatter am Mittwoch für weitere vier Jahre im Amt bestätigen lassen will, bleibt die FIFA ein Pulverfass, das jeden Tag explodieren kann. Trotz seines „Freispruchs“ ist Blatter ein Chef auf Abruf - erst recht nach der Pressekonferenz, die das desaströse Bild der FIFA bestätigte. Der angekündigte „Fußball-Tsunami“ hat sich noch längst nicht verzogen.

Generalsekretär Valcke soll in einer E-Mail an das vorläufig suspendierte Exekutivkomitee-Mitglied Jack Warner angedeutet haben, dass Katar die WM 2022 gekauft habe. Der beschuldigte Franzose reagierte mit einem verwaschenen „Nicht-wirklich-Dementi“. „Was ich sagen wollte, ist, dass die Sieger ihre finanzielle Kraft genutzt haben, um Lobbyarbeit für ihre Bewerbung zu betreiben“, ließ Valcke in einer schriftlichen Stellungnahme mitteilen. „Ich wollte damit nicht sagen, dass Stimmen gekauft worden seien oder ein anderes anstößiges Verhalten unterstellen“, hieß es weiter.

Warner hatte zuvor behauptet, Valcke habe über den inzwischen ebenfalls suspendierten bin Hammam gesagt: „Ich habe es nie verstanden, warum er kandidiert.“ Vielleicht habe bin Hammam geglaubt, „dass man die FIFA kaufen könnte, so wie sie die WM gekauft haben“, soll Valcke laut Warner geschrieben haben.

Am Montag herrschte jedenfalls Alarmstufe eins rund um das schmucke „Home of FIFA“ hoch über Zürich. Strenge Sicherheitskontrollen beim Einlass, tagsüber verschlossene Türen am Hauptgebäude, in dem das skandalumtoste und dezimierte Exekutivkomitee tagte und später die Pressekonferenz stattfand.

Bin Hammam, eine der Schlüsselfiguren bei Katars erfolgreicher WM-Bewerbung, hatte am Samstag seine Kandidatur für das höchste Amt im Weltfußball überraschend zurückgezogen. Der 62 Jahre alte Katarer reagierte in der BBC zunächst verwundert auf die neuen Vorwürfe. „Sie müssen Jérôme Valcke fragen, was er dabei gedacht hat“, erklärte bin Hammam, „wenn ich Geld für Katar bezahlt habe, müsste man auch die anderen 13 Menschen fragen, die für Katar gestimmt haben.“ Gegen seine Suspendierung wolle er Berufung einlegen.

Auch das WM-Organisationskomitee Katars wies die Behauptungen zurück. „Wir dementieren kategorisch jegliches Fehlverhalten in Verbindung mit unserer gewonnenen Bewerbung“, hieß es am Montag in einer Stellungnahme der WM-Organisatoren. Man habe „die FIFA dringend um Aufklärung zu dem Statement ihres Generalsekretärs gebeten“.

In der schwersten Krise der 107-jährigen FIFA-Historie verstummen auch die Forderungen nach einer Verschiebung der für Mittwoch geplanten Präsidentenwahl verständlicherweise nicht. Die europäischen Verbände jedoch sprachen sich gegen einen Aufschub der Wahl aus.

Bin Hammam, „sehr enttäuscht“ über das Urteil, warf Valcke vor, die Ethikkommission beeinflusst zu haben. In Asien wurde nur wenige Stunden nach bin Hammams Demission bereits offen über seine Nachfolge als Chef des asiatischen Kontinentalverbandes (AFC) diskutiert. Der Chinese Zhang Jilong soll neuer AFC-Präsident werden.

Von den 24 Mitgliedern der FIFA-Exekutive stehen inzwischen zehn unter Betrugsverdacht. Tiefgreifende Reformen sind überfällig, will der Verband nicht seine letzte Glaubwürdigkeit verspielen. Nach seinem Ausschluss schlug FIFA-Vize Warner prompt zurück, beschuldigte Blatter der Korruption, verurteilte seinen Ausschluss scharf und versprach weitere Enthüllungen. „Ich werde bald sehr viel mehr zu dieser Sache sagen“, betonte er. Er wolle ein Schweizer Gericht einschalten, um die Legalität seiner Suspendierung zu überprüfen.

Sein Vorwurf an Blatter: Der 75 Jahre alte Schweizer habe dem Kontinentalverband Nord- und Mittelamerika/Karibik (CONCACAF) ein „Geschenk“ von einer Million Dollar zukommen lassen, um das Geld „nach eigenem Ermessen“ zu verwenden. „Blatter muss gestoppt werden“, forderte Warner. „Gestoppt, wie? Worin?“, entgegnete Blatter später.

Eine geräuschlose Wiederwahl des Amtsinhabers ist ausgeschlossen. Eine Dreiviertel-Mehrheit der 208 Mitgliedsverbände für einen Stopp dürfte zwar nicht zustande kommen, aber eine Jubelfeier per Akklamation ist nicht zu erwarten.