Chef Löw setzt WM-Plan um: Schmelzer raus - Durm drin
Mönchengladbach (dpa) - Die Bedenken bei den Fans wachsen, Joachim Löw aber zieht sein WM-Konzept strikt durch. Die einstige Stammkraft Marcel Schmelzer lässt der Bundestrainer zu Hause, obwohl gerade die linke Abwehrseite eine der größten Baustellen in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ist.
Dazu ist nach dem schwachen 2:2 im vorletzten WM-Test gegen Kamerun für die Auswahl-Frischlinge Kevin Volland und Shkodran Mustafi der Brasilien-Traum vorbei. „Unser Kader ist ausgewogen, jede Position ist doppelt besetzt. Unsere Spieler haben Charakter, die Mannschaft hat Charakter“, beschrieb Löw seinen endgültigen 23-köpfigen Weltmeisterschafts-Kader.
Nach dem Kräftemessen gegen den WM-Teilnehmer aus Afrika und der Ausmusterung bleiben allerdings eine Menge Fragen offen. Der Chef der Brasilien-Expedition weicht zwei Wochen vor dem ersten WM-Spiel im heißen Salvador keinen Millimeter von seiner Alles-wird-gut-Linie ab: „Ich weiß, dass wir manche Dinge schon besser machen können. Aber ich bin absolut überzeugt und optimistisch, dass wir in zwei Wochen in einer viel besseren Verfassung sind.“
Dass der 54-Jährige nach dem Verzicht auf den Hoffenheimer Volland nur mit einem echten Stürmer nach Brasilien geht, passt in seine Philosophie. Kleine, wendige, schnelle Typen wie Marco Reus, Mario Götze und Mesut Özil spielen in seinem WM-Konzept auch als mögliche verkappte Angreifer eine bedeutende Rolle. Zudem hatte er in den Trainingseinheiten Volland eher als Außenstürmer eingeordnet.
„Sie haben uns die Entscheidung wahnsinnig schwer gemacht. Natürlich sind Shkodran, Marcel und Kevin nun sehr enttäuscht“, bemerkte Löw, betonte aber: „Wir haben die richtige Mischung aus vielen jungen und hochbegabten Fußballern und Spielern mit viel Turniererfahrung, die wissen, worauf es ankommt. Mit diesem Kader fliegen wir selbstbewusst nach Brasilien, wir haben dort große Ziele.“ Als großer Gewinner darf sich der Dortmunder Erik Durm sehen. Der 22-Jährige soll nach seinem Debüt nun sofort die Probleme auf der linken Abwehrseite lösen.
Dagegen traut Löw Durms BVB-Kollegen Schmelzer diese WM-Rolle offenbar nicht zu, schon in der Vergangenheit hatte der Bundestrainer Skepsis durchblicken lassen. Dazu konnte der Abwehrmann wegen einer Knieverletzung im Trainingslager nicht mit dem Team üben. Für die Mustafi-Position in der Innenverteidigung gibt es genug Alternativen.
Löw zieht sich jetzt noch einmal für zwei Tage zur Analyse in seine Heimat Freiburg zurück. Die unbefriedigende Vorstellung vor 41 250 Fans im nicht ausverkauften Borussia-Park in Mönchengladbach und über elf Millionen Zuschauern vor den TV-Schirmen warf mehr neue Fragen auf, als alte zu beantworten. So war der als einsatzfähig gemeldete Bastian Schweinsteiger noch nicht wettkampfbereit. Klose saß überraschend 90 Minuten auf der Bank. Philipp Lahm und Manuel Neuer müssen nach Verletzungen in München weiter individuell trainieren.
Der Bundestrainer überraschte einmal mehr mit seiner Sicht auf die Dinge. Wie Lahm und Neuer sei auch Schweinsteiger „voll belastbar“, meinte er. Dass sein Schlüsselspieler Sami Khedira nach gerade überstandenem Kreuzbandriss noch nicht „im Vollbesitz seiner Kräfte ist“, leuchtet noch ein. Aber Löws optimistische Analyse des schwierigen Trainingslagers im Passeiertal wurde auch vom Auftritt seiner gesunden WM-Akteuren gegen Kamerun nicht gestützt.
Götze fremdelte nicht zum ersten Mal mit seiner Rolle als „falsche Neun“ im Angriffszentrum. Mesut Özil wirkte nach seiner vergebenen Großchance gleich in der Startminute gehemmt. „Ihm sind Fehler unterlaufen, die er in der Regel nicht macht“, räumte Löw ein. Auch hier aber bleibt er beim Prinzip Hoffnung: „Bei ihm hat man auch gemerkt, dass die Spritzigkeit vielleicht nicht ganz vorhanden ist. Auch das werden wir hinbekommen, weil Mesut ein Spieler ist, der auf diesem technischen Niveau richtig gute Lösungen hat.“
Per Mertesacker wertete die Situation wie Löw noch nicht als alarmierend. „Wir haben Verbesserungspotenzial. Aber ich glaube, wir brauchen das auch. So bleibt die Spannung hoch“, betonte er nach seinem 97. Länderspiel. „Wir hatten zu wenig Effizienz. Wir müssen hochkonzentriert bleiben, besser in der Abstimmung werden“, fasste Müller, gegen Kamerun als Ersatz-Mittelstürmer wirkungsvoller als Götze, die Hauptmängel zusammen.
Löw sieht zwar, dass sich die Probleme Chancenverwertung und Defensivverhalten „wie ein roter Faden“ durch die vergangenen Monate ziehen. Abstellen aber konnten er sie bisher nicht. Die Turnier-Neulinge Christoph Kramer (Mönchengladbach) und Matthias Ginter (Freiburg) sollen vor allem die Konkurrenz erhöhen.
Auf der positiven Seite darf Löw neben dem ersten Länderspiel von Durm, für den sich nun „ein Kindheitstraum“ erfüllt, den Auftritt von André Schürrle und Lukas Podolski werten. Sie brachten als Joker Wucht ins Spiel und produzierten zusammen auch ein Tor. „Wir müssen beim ersten WM-Spiel da sein - das werden wir“, versicherte Podolski.
Zunächst aber dürfen die WM-Fahrer nochmals Heimaturlaub genießen, bevor das Team am Donnerstag in Mainz wieder zusammenkommt. „Die drei Tage bei den Familien sind jetzt superwichtig, um aufzutanken“, sagte der gerade zum zweiten Mal Vater gewordene Mertesacker. Am Freitag steht die WM-Generalprobe gegen Armenien auf dem Programm.