Vor Spiel gegen Schweden Neuer spricht: „Es hat geknallt!“
Vor dem Abflug nach Sotschi, wo am Samstag (20 Uhr) das Spiel gegen Schweden steigt, berichtet der Kapitän Manuel Neuer von einer Krisensitzung.
Moskau. Die Jobbeschreibung Manuel Neuers sieht Pünktlichkeit während der Ausübung seiner Arbeit vor. Wiederholtes verspätetes Eintreffen bei Flanken oder Schüssen würde ihn die Zertifizierung als Weltklassetorhüter kosten. Sein am Dienstag deutlich zu spätes Erscheinen dürfte aber wohlwollend von den Fans zur Kenntnis genommen werden: Der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft ließ die Journalistenschar mehr als 50 Minuten auf sich warten.
Der Grund: „Wir hatten noch eine Teamsitzung, die länger gedauert hat“, entschuldigte er sich. Inhalt der Mannschaftsbesprechung waren nicht Laufwege und taktische Formationen, sondern Grundsätzliches. „Wir nehmen kein Blatt vor den Mund, damit es gegen Schweden besser wird. Wir haben viel miteinander geredet, uns ehrlich die Meinung gesagt. Solche Sitzungen tun gut, es ist ein befreiendes Gefühl“, sagte Neuer.
Die Gefahr ist groß, früh auszuscheiden, man sei sich dessen bewusst. „Wir haben ab jetzt nur noch Finals. Jetzt muss von uns Spielern was kommen. Wir müssen das zeigen, was uns in der Vergangenheit so stark gemacht hat“, sagte der Kapitän. Er fasste die wichtigste Botschaft an die besorgte Fußball-Gemeinde in der Heimat mit dem Satz zusammen: „Wir sind unsere schärfsten Kritiker.“
Nicht nur die Anhänger hatten das Gefühl, dem Team hätte es im Eröffnungsspiel gegen Mexiko an den Basistugenden gefehlt. Auch Jerome Boateng sah eine Leistung, die ein Scheitern in der Vorrunde als realistisches Szenario erscheinen lässt: „Zumindest teilweise hat uns die Leidenschaft gefehlt. Man kann mal schlecht spielen, solche Tage gibt es. Aber der Kampf muss da sein. Fußball ist immer noch ein Spiel, bei dem sich zwei Mannschaften bekämpfen.“ Gegen Mexiko sei davon in der ersten Halbzeit zu wenig davon gesehen zu wesen.
Dass diese offensive Kritik auf der verbandseigenen Homepage geäußert wurde, überrascht. Dort wird ansonsten eher beschönigt und relativiert. Doch dafür war der Auftritt gegen Mexiko in sämtlichen Facetten zu schwach. Das hat offenbar auch der DFB begriffen. Jetzt müssen Signale her, Boateng liefert sie. Der Münchener Abwehrspieler zählte eine imposante Mängelliste auf. „Wir müssen zielstrebiger nach vorne spielen. Das war zu viel Querpass, zu viel rückwärts, zu wenig Bewegung, zu wenig Überraschung.“ Gepaart mit mangelnder Leidenschaft zieht das die nun gedrückte Stimmung im Mannschaftsquartier der Deutschen als Konsequenz hervor.
Jenes Quartier verlegte der DFB am Dienstag von Moskau nach Sotschi. Die frühzeitige Abreise aus der russischen Hauptstadt war von jeher so geplant gewesen. Am Schwarzen Meer soll nun der Elan geschöpft werden, der am vergangenen Sonntag gefehlt hat. Während des Confed-Cups im vergangenen Jahr sammelte die Mannschaft in Sotschi durchweg positive Erfahrungen. Palmen und wohlige Erinnerungen allein werden die Mannschaft aber nicht in die Erfolgsspur führen.
Immerhin hat Neuer auch schon im Training eine forschere Herangehensweise seiner Mitspieler ausgemacht. „Es hat geknallt. Die Spieler, die nicht gespielt haben, haben sich voll reingehauen.“ Der Druck auf die arrivierten Spieler wächst also. Neben Neuer dürfen sich zwar Mats Hummels, Boateng und Kroos noch als gesetzt fühlen. Alle anderen langjährigen Säulen des Teams aber haben ihren Anspruch auf einen Stammplatz verloren. Sami Khedira und Thomas Müller schwächelten extrem, Mesut Özil erlangte nie die Deutungshoheit über das Spielgeschehen.
Mit Julian Brandt, Ilkay Gündogan, Leon Goretzka und vor allem Marco Reus drängen hoch veranlagte Spieler in die erste Reihe. Thomas Müller versuchte das magere Angriffsspiel zu rechtfertigen: „Es liegt nicht daran, dass wir nicht wollen, sondern dass wir die falschen Dinge zur falschen Zeit machen und die Gegner sich extrem aufs Konterspiel verlassen.“
Gegner Schweden ist nach dem Auftaktsieg gegen Südkorea (1:0) in einer komfortablen Situation. „Die Deutschen können besser spielen, aber es ist alles möglich“, sagte der Leipziger Bundesliga-Legionär Emil Forsberg. Selbstbewusstsein hat sein Team genug: Immerhin haben die Schweden in der WM-Ausscheidung erst die Niederlande eliminiert und dann im Playoff auch noch das stolze Italien in eine nationale Depression gestürzt.
Für Neuer ist ohnehin ein anderer Punkt wichtiger. „Für mich geht es eher darum: Habe ich die Bereitschaft, das Turnier hundertprozentig anzugehen?“, sagte Neuer: „Diese Bereitschaft war beim ersten Gruppenspiel nicht so 100 Prozent da, wie man es aus den anderen Turnieren kannte.“
Wichtig sei, dass „wir alle an einem Strang ziehen und nach einem Muster spielen und zu 100 Prozent die Vorgaben umsetzen“, forderte Neuer. Entschlossen verneinte er die Frage nach einer Spaltung im Team zwischen den erfahrenen Weltmeistern und den jüngeren, aufstrebenden Confed-Cup-Siegern. „Die Zweiteilung gibt es nicht. Wir sind eine Mannschaft, und es gibt auch keine Spaltung.“