Spanien betrauert Ende einer Fußballära
Madrid (dpa) - Noch ziert die spanische Flagge in Madrid und anderswo viele Balkone und Fenster. Grund zum Feiern liefert die Monarchie mit dem Wechsel von Juan Carlos I. auf den neuen König Felipe VI.
Der Fußball verbreitet dagegen Trauerstimmung. Die „selección“ wurde in Brasilien entthront.
„Wir wussten, dass dieser Augenblick kommen würde, aber doch nicht auf diese Weise!“, beschrieb ein Reporter des staatlichen Rundfunks die Stimmung im Land des noch amtierenden Weltmeisters. Ein enttäuschter Fußballfan auf der Straße pflichtet ihm bei: „Das war ein brutales Erwachen, als wäre alles bloß ein Traum gewesen“, meinte der 38-jährige Israel.
Auf dem Puerta-del-Sol-Platz im Herzen Madrids schwang derweil Straßenkehrer José Luis (50) missmutig den Besen. „Die Nationalmannschaft hat es wie der König gemacht, sie hat abgedankt“, urteilt er. Nicht weit entfernt bejubelten später Tausende den neuen Monarchen. Wie erwartet äußert sich Felipe (46) in seiner Antrittsrede nicht zum Abschneiden der Nationalmannschaft - auch in der Live-Übertragung im Fernsehen ist das kein Thema.
„Spanien war die 'Titanic'“, brachte es „El País“ auf den Punkt. Spaniens Fußballmärchen sei mit einem Alptraum zu Ende gegangen. Denn dass Xavi, Iniesta, Casillas & Co. derart gedemütigt werden würden, hatte niemand erwartet. „The End“, titelte das Sportblatt „Marca“, Spaniens meistgelesene Zeitung, und fügte hinzu: „Die ruhmreichste Zeit in der Geschichte der 'La Roja' nimmt ein jämmerliches Ende.“
Viele hatten auf ein Finale Spanien gegen Brasilien im legendären Maracanã-Stadion gehofft. Stattdessen wurde die „selección“ dort nun von Chile vorgeführt. „Den Spielern des spanischen Teams zitterten sogar die Schnürsenkel“, befand „El País“.
Einig sind sich aber auch alle Kommentatoren, dass das Team von Trainer Vicente Del Bosque jetzt nicht bloß heruntergeputzt werden dürfe. So kam die Bitte um Vergebung von Kapitän Iker Casillas nach den beiden Niederlagen gegen die Niederlande und Chile auch nicht überall gut an. „Entschuldigt euch nicht, wir verdanken euch viel“ - titelte das Fachblatt „As“. Dazu stellte die Zeitung Bilder der Feiern nach den EM-Siegen 2008 und 2012 sowie der WM 2010 in Südafrika.
Doch nicht nur sportlich waren die Erfolge wichtig: In einem von Wirtschaftskrise und Rekordarbeitslosigkeit gebeutelten Land war die Nationalelf für viele in den vergangenen sechs Jahren einer der wenigen Lichtblicke.
So gibt es auch keine lautstarken Rufe nach einer Ablösung Del Bosques, dessen Vertrag noch bis 2016 läuft. Gefordert wird aber wohl eine Erneuerung des Kaders. Dass Xavi, der große Ideengeber der „selección“ der vergangenen Jahre, am Mittwoch auf der Ersatzbank saß, sei dafür das Startsignal. Auch für Casillas, Fernando Torres, Andrés Iniesta und Xabi Alonso sehen viele das Aus bei der Nationalelf kommen.
Viel Spott in sozialen Netzwerken müssen die gefallenen Fußballhelden schon jetzt ertragen: Statt Tiki-Taka heiße es jetzt taca-taca, ist dort etwa zu lesen. Tiki-Taka ist der berühmte Kombinationsfußball der „selección“, taca-taca werden in Spanien Rollatoren genannt.