Traumtor rettet DFB-Elf Torheld Kroos: „Man muss auch Eier haben“

Sotschi (dpa) - Mit solchen Geniestreichen bleiben nur die ganz großen Spieler in Erinnerung. Nach dem goldenen Freistoßtor von Weltmeister Toni Kroos kamen Timo Werner „fast die Tränen“.

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Bundestrainer Joachim Löw legte einen gigantischen Freudensprung hin. Und selbst die Sekunden vor Schluss geschlagenen Schweden rühmten einen „Weltklassespieler“ für dessen 2:1. Der nach 94 Minuten und 42 Sekunden späteste deutsche WM-Treffer in der regulären Spielzeit unterstrich einmal mehr die Ausnahmestellung eines der erfolgreichsten Fußballstars der ruhmreichen DFB-Historie.

„Ich habe mich für ihn gefreut, weil er am ersten Gegentor mit beteiligt war. Was ihm normalerweise selten passiert“, sagte der im Tormoment völlig euphorisierte Löw. Das 13. Tor im 85. Länderspiel war das wichtigste von Kroos, obwohl der Mittelfeldstratege auch schon beim 7:1 im WM-Halbfinale 2014 gegen Gastgeber Brasilien doppelt getroffen hatte.

Kroos kämpfte sich gegen die Skandinavier durch einen Fußballabend der Extreme. Beinahe wäre der viermalige Champions-League-Sieger für den historischen ersten Vorrunden-K.o. einer deutschen Mannschaft verantwortlich gewesen. Sein fataler Fehlpass, gepaart mit halbherziger Verteidigung, hatte den 0:1-Rückstand bedeutet.

„Natürlich geht das erste Tor auf meine Kappe. Aber man muss dann auch die Eier haben, die zweite Halbzeit so zu spielen“, sagte der nach dem Tor ungewöhnlich emotionale Kroos. Er hämmerte mit beiden Fäusten auf den Rasen. Er schrie seine Freude auf dem Platz laut hinaus. „So ein später Sieg kann bei jedem auch etwas hervorholen, was einen Push für das Turnier geben kann“, sagte der 28-Jährige.

Voller Adrenalin blieb Deutschlands erster WM-Held in Russland kurz nach dem Schlusspfiff auf dem Rasen weiter im Angriffsmodus. „Man hatte das Gefühl, relativ viele Leute in Deutschland hätte es gefreut, wenn wir heute rausgegangen wären. Aber so leicht machen wir ihnen es nicht“, stichelte der Real-Madrid-Star - und machte stutzig.

„Wir wissen, dass wir viele Fans in Deutschland vor dem Fernseher und auf den Fanmeilen hinter uns haben. Aber mehr Hilfe kriegen wir nicht“, führte Kroos wenig später in den Stadionkatakomben in gewohnt stoischer Art aus. „Bei mir kommt da ein Gefühl rüber, es macht viel mehr Spaß, schlecht über uns zu reden und zu analysieren als andersherum“, wehrte er sich gegen Expertenschelte und Medienkritik. Aus dem Team hatte es aber wiederholt Stimmen gegeben, dass die Kritik nach der Mexiko-Enttäuschung gerechtfertigt gewesen sei.

Diesmal war das den Teamkollegen wurscht. Sie schwärmten lieber über die Glücksgefühle, die ihnen der in den ersten Turniertagen kritisch beäugte Real-Star mit seinem ersten Länderspieltor seit Oktober 2016 geschenkt hatte. „Es war einfach so geil“, frohlockte Timo Werner, der gefühlt von einem Treffer in der „90. Minute plus 100“ sprach. „In diesem Turnier gibt es keine normalen Tore. Entweder sind es Standardtore, Eigentore oder Traumtore. Und heute war es wieder ein Traumtor, das uns geholfen hat, im Turnier zu bleiben.“

Die Extraklasse von Kroos erkannte auch der Gegner an. „Er ist ein Weltklassespieler“, sagte Bundesliga-Spieler Emil Forsberg von RB Leipzig. Schweden-Coach Janne Andersson sprach von einer „großartigen Einzelleistung“.

Die gewohnte Dominanz, wie Kroos sie etwa beim WM-Triumph vor vier Jahren oder bei so vielen Auftritten im Real-Ensemble demonstrierte, hat er in Russland noch nicht gezeigt. Wenngleich er das anders sieht. Der Eindruck täusche, entgegnete der selbstbewusste Kroos. Er braucht für sein Spiel einen Absicherer an seiner Seite, wie es Casemiro in Madrid ist und der mit einem Nasenbeinbruch ausgewechselte Sebastian Rudy in der Anfangsphase in Sotschi war.

Kroos hatte beim Tor auch einen Wunsch des verletzt zuschauenden Mats Hummels ignoriert. „Ich habe laut geschrien, er soll flanken“, verriet der Innenverteidiger - und konnte über Kroos' Alleingang gut lachen. „Dafür durfte ich mir einiges anhören in der Kabine.“