Weltmeister mit goldener Zukunft zur Party nach Berlin
Rio de Janeiro (dpa) - Bei der großen Weltmeister-Sause am rot beleuchteten Ipanema-Strand mobilisierten Deutschlands neue Fußball-Helden um Goldjunge Mario Götze noch einmal alle Kräfte. Und übernächtigt machten sich Joachim Löws Feierbiester im „Siegerflieger“ auf die Heimreise nach Berlin:
Dort will die nach einem Jahrzehnt vollendete Generation um den grandiosen Vorkämpfer Bastian Schweinsteiger mit ihrem Ziehvater Löw nach dem Nachtflug aus Rio mit den euphorisierten Fans weiterfeiern.
„Da wollten wir hin“, verkündete Löw nach seiner erfüllten Titelmission zum Empfang am Brandenburger Tor. Danach werde es im Urlaub „einen emotionalen Abfall geben“, sagte der 54-Jährige, der in der Finalnacht sichtlich beschwingt um 3.00 Uhr durch die Hotel-Lobby huschte. „Aber ich glaube, dieses tiefe Glücksgefühl wird für alle Ewigkeit bleiben“, hatte er einordnend erklärt.
Unsterblichkeit ist Löw und seinen 23 Champions nach dem 120 Minuten dauernden 1:0-Finaldrama gegen zähe Argentinier mit ihrem leidenden Superstar Lionel Messi gewiss. Der 13. Juli 2014 geht nach dem für keinen deutschen Fußballer zu überbietenden „Wunder von Bern“ 1954 sowie den Triumphen 1974 und 1990 als eine Weltmeisterschaft urdeutscher Tugenden wie Willenskraft und Beharrlichkeit in die Historie ein. Aber auch als Sternstunde der feinen Füße, die Mario Götze mit seinem Krönungstor in der 113. Minute demonstrierte. Diese fließende Bewegung aus Ballmitnahme und Abschluss nach der Vorarbeit von André Schürrle löste im Stadion, aber auch bei den Anhängern daheim Eruptionen der Freude aus.
„Man begreift eigentlich gar nicht, was passiert, in der Situation, in der Spielminute, das ist einfach unbeschreiblich. Dann miteinander zu feiern, mit dem ganzen Land. Ein Traum ist in Erfüllung gegangen“, sagte Götze, der mit einer Aktion von einem Turnier-Mitläufer zum Helden für die Ewigkeit emporschoss. Löw nannte den 22-Jährigen ein „Wunderkind“, mit Talenten der Dimension Messi. Der Bundestrainer hatte seinen Offensivtrumpf bei der späten Einwechslung mit einem klaren Auftrag in dieses tosende Endspiel geschickt: „Ich habe zu Mario Götze gesagt, zeige der ganzen Welt, dass du besser bist als Messi und dass du dieses Spiel entscheiden kannst.“ Gesagt, getan.
Auf Löw hörten die Spieler immer, nicht nur in Brasilien bei dem historischen Erfolg als erste europäische Sieger bei einer WM auf dem amerikanischen Kontinent. Die Mannschaft überwand auch im Finale alle Widerstände, mit denen sie vom Beginn der Vorbereitung in Südtirol an zu kämpfen hatte. Etwa den schon vergessenen Verletzungen des Kapitäns Philipp Lahm, des als bestem Torwart ausgezeichneten Manuel Neuer und auch Schweinsteiger mit dem lädierten Knie.
Dazu kamen harte Ausfälle, etwa der von Offensiv-Rakete Marco Reus am Tag vor der Abreise nach Brasilien. Sein Trikot war bei der Jubelparty mit wilden Samba-Einlagen im Teamhotel immer präsent. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hielt im Saal „Copacabana“ eine Rede vor den mit Champagner prostenden Gästen: „Was diese Truppe in acht Wochen geleistet hat, ist phänomenal!“
Schweinsteiger war im Krönungs-Finale das Sinnbild für diese unbeugsame Gemeinschaft, die das mystische Maracanã auf keinen Fall ohne den Goldpokal verlassen wollte, den sie in der Jubelnacht immer wieder küssten und streichelten. „Hier wollte ich mit aller Gewalt so weit wie möglich kommen“, berichtete Schweinsteiger, gezeichnet von den Tritten der Argentinier und einem Boxer-Cut unter dem Auge.
Auf der Tribüne hatte Bundespräsident Joachim Gauck bei dem „Nervenspiel“ mitgelitten. Kanzlerin Angela Merkel stieß beim Kabinenbesuch mit Dosenbier an und erhielt einige Wangenküsschen ihrer Lieblinge. Die Weltmeister riefen, im Stadion freudetrunken: „Angie, Angie, Angie“ und „Präsi, Präsi, Präsi“.
Triumphgesänge hallten bis zum Sonnenaufgang durch die Nacht, auch beim Feiern ging die Mannschaft in die Verlängerung. „Die Nummer 1 der Welt sind wir“, skandierten die Spieler. Fotos der mit Goldmedaillen dekorierten Fußball-Helden mit Pop-Star Rihanna waren schnell im Umlauf. „Ich habe versucht, alles aufzusaugen und auf die Speichertaste zu drücken“, sagte Thomas Müller.
Feiern ohne Abpfiff ist angesagt, zunächst bis Berlin. „Wir werden mit den Fans noch eine Riesenfeier abreißen“, kündigte Schürrle vor dem Weltmeisterflug LH 2014 in die deutsche Hauptstadt an. Die Landung des Jumbos mit Schwarz-Rot-Gold-Verzierung und dem großen Gold-Schriftzug „Siegerflieger“ ist für 9.10 Uhr am Dienstagmorgen auf dem Flughafen Tegel geplant.
„Wir hatten den Lucky Punch“, betonte Toni Kroos. Den glücklichen, aber verdienten Erfolg des Kollektivs über den Einzelkönner Messi hatte sich die Mannschaft nicht nur in den 120 Minuten der Aufopferung verdient. Sondern auf einer viel längeren Strecke über zehn Jahre, vom Anfang 2004 mit Erneuerer Jürgen Klinsmann bis zur Vollendung mit Projektleiter Löw.
„Das ist jetzt ein Produkt von vielen Jahren“, erinnerte Löw an einen oft steinigen Weg. Seine Auftritt vor der Weltpresse klang am Sonntagabend ein wenig nach einem Vermächtnis, als er nach dem Spiel zurückschaute. Die Eroberung des Pokals schrieb er vor allem der in mehr als 100 Länderspielen gestählten Generation um Lahm, Schweinsteiger, den ewigen Torjäger Miroslav Klose sowie die den Teamgeist lebenden Per Mertesacker und Lukas Podolski zu.
„Wir haben vor dem Spiel gesagt: Ihr müsst heute so viel geben wie noch nie in eurer Karriere. Dann werdet ihr das erreichen, was ihr noch nie hattet, nämlich diesen Pokal mit nach Hause zu nehmen“, verriet Löw aus der Kabine: „Wir wussten genau, dass Champions irgendwann diesen letzten Schritt machen, die Sache zu Ende bringen. Wir haben immer daran geglaubt.“
Rio als Endpunkt? Löw selbst legte kein Bekenntnis zum Weitermachen ab, auch wenn sein Vertrag bis 2016 läuft und nicht nur DFB-Präsident Niersbach weiter fest mit dem seit acht Jahren amtierenden Chefcoach plant. „Für den deutschen Fußball wäre es gut, weiterzumachen“, sagte Kroos zu Löws Zukunft: „Sich zu steigern, wird allerdings schwer.“
In der Tat: „Weltmeister zu werden im Maracanã, als erste europäische Mannschaft auf einem amerikanischen Kontinent zu gewinnen. Mehr geht nicht“, sagte sogar Niersbach. Europameister 2016? Confed-Cup-Sieger 2017? Eine weitere WM 2018 in Russland? Können das nach einer Phase der inneren Einkehr neue Ziele für den kaum berechenbaren Löw sein? Warum - und warum nicht?
Die Generation um Lahm ist gekrönt, zugleich funkelt die Zukunft weiter golden. Das hob Löw selbst hervor im Moment des Triumphes: „Wir haben Götze, Özil, Marco Reus, der nicht dabei war, Gündogan, Khedira, Schürrle, Kroos, das sind alles junge Spieler. Die können in ihrer Karriere noch Einiges bewegen.“ Die Zeit bis zum fünften WM-Stern muss nicht wieder 24 Jahre betragen.
Löw ist - das steht fest - im Trainer-Olymp angekommen. Er steht auf einer Stufe mit den Weltmeister-Trainern Sepp Herberger (1954), Helmut Schön (1974) und Franz Beckenbauer (1990). Manager Oliver Bierhoff, der Golden-Goal-Schütze beim EM-Titel 1996, setzte das Schlusswort in der Jubelnacht von Rio: „Keiner redet vom Vize-Weltmeister, dann warst du der nette Kerl oder hast irgendwas toll gemacht, aber die Krönung fehlt natürlich.“