WM-Viertelfinale: Das kleine Fahrrad und der kleine Teufel Frankreichs

Mathieu Valbuena und Antoine Griezmann auf den Flügeln sind eine echte Gefahr fürs deutsche Team.

Frankreichs Flügelspieler: Mathieu Valbuena (l.) und Antoine Griezmann.

Foto: Jorge Zapata

Ribeirão Preto/Porto Alegre. Wer einen Brasilianer befragt, ob er Ribeirão Preto aus eigener Erfahrung kenne, der erntet Kopfschütteln. Und Unverständnis, wenn die Nachfrage folgt, ob sich eine Reise lohne. „Não, não“, nein, nein, sehr schlecht. Was ist denn bloß mit dieser Stadt, die sich mehr als 300 Kilometer nordöstlich von São Paulo befindet? Dennoch hat die Delegation der französischen Nationalmannschaft genau hier ihr Domizil gefunden. Und offenbar ihre Harmonie. Inmitten endloser Monokulturen. Früher wucherte hier üppige Vegetation, heute werden Zucker und Alkohol in rauen Mengen produziert.

Fürs Viertelfinale gegen Deutschland holen sich die neuen Helden in ihrem Business-Kasten, dem Hotel JP, ausgesprochen „JotaPé“, wieder Kraft. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder reden sich die Protagonisten ihr Quartier schön oder sie beachten es einfach nicht. Letzteres ist aus den Aussagen zweier Teammitglieder abzuleiten. „Ich versuche mich abzulenken, in dem ich viel mit meinen Mitspielern scherze“, hat Linksaußen Antoine Griezmann mal verraten. Und Rechtsaußen Mathieu Valbuena hat gesagt: „Wir versuchen alles um uns herum zu vergessen.“

Valbuena und Griezmann können an guten Tagen jeden Gegnern wie eine Kneifzange traktieren, und vieles deutet darauf hin, dass die französische Elf am Freitag in Rio de Janeiro so beginnt wie sie am Montag in Brasilia aufgehört hat. Eben mit dem 1,67 Meter kleinen Valbuena und dem neun Zentimeter größeren Griezmann. Nationaltrainer Didier Deschamps hat schon gesagt, dass die Variante Griezmann die „Option Geschwindigkeit“ sei. Und wer wäre besser geeignet, deutschen Rammböcken auf den Außenbahnen Knoten in die Beine zu spielen als dieses Duo?

Valbuena nennen sie „le petit velo“. Das kleine Fahrrad. Der Spitzname passt zu der Heimstätte seines Arbeitgebers Olympique Marseille, dem „Stade Velodrom“. Aber es gibt auch eine Redewendung, in der es frei übersetzt heißt, man sei ein bisschen verrückt. Über den 29-Jährigen werden gerne die Geschichten erzählt, wie er sich als Kind im Schwimmbad auf dem Sprungturm das halbe Bein aufriss. Oder wie er mal seinen Luxusschlitten zu Schrott fuhr und nur durch ein Wunder nicht zu Schaden kam. Valbuena zählt zudem zu jenen vier Kräften, die mit ihrer Auswahl vor vier Jahren im südafrikanischen Küstenstädtchen Knysna zum Schandfleck der „Grande Nation“ mutierten, auch wenn der Irrwisch damals bei der Revolte gegen den Trainer Domenech nur eine Randfigur gab. Dass er am Freitag sein 38. Länderspiel bestreitet, gilt als ausgemacht - Deschamps hat ihn mehrfach als „unverzichtbar“ bezeichnet.

Griezmann nennen sie „le petit diable“. Der kleine Teufel. Wie der 23-Jährige zuletzt wieder gegen Nigeria die Überholspur nutzte, war extra klasse. „Wenn mir jemand vor einigen Monaten gesagt hätte, dass ich bei dieser WM dabei bin, hätte ich es nicht geglaubt“, räumte der Profi von Real Sociedad San Sebastian ein, der vor seinem erst neunten Länderspiel steht. Seine Unbekümmertheit, sein Tempo erregten früh Aufmerksamkeit, doch auch er hat eine Vorgeschichte. Seine geht so: Während eines Trainingslagers der U 21-Nationalmannschaft suchte er mit Teamkollegen einen Nachtclub in Paris auf, doch das unerlaubte Entfernen flog auf, man verpasste die EM-Qualifikation. Griezmann wurde verbandsseitig eine einjährige Sperre aufgebrummt, die erst Ende 2013 ablief. Ihn daher als Hoffnungsträger zur WM mitzunehmen, löste größere Debatten aus, aber rückblickend hat es allemal Sinn gemacht. Denn er stürmt ja von dort los, wo das Land eigentlich einen Superhelden erwartet hatte. Franck Ribéry. Doch über dessen Verhältnis zu minderjährigen Prostituierten oder seinen spritzenanfälligen Rücken wurde auch so erschöpfend diskutiert, dass seine Absenz auch eine Chance bedeutete. Ähnlich wie für Deutschland in Südafrika das Fehlen von Michael Ballack.