Handspiel: Eine Regelauslegung erzürnt die Bundesliga
Die Fälle häufen sich. Und der Ärger wird immer größer.
Mönchengladbach. Lucien Favre war außer sich. Und Ecki Heuser, der Mann, der beim Bezahlsender Sky in der Regel die ersten Reaktionen am Spielfeldrand abgreift, hielt einfach das Mikrofon hin. Heuser nickte ab und an — Zustimmung lockert die Zunge des Gegenübers - und wippte dem hüpfenden Favre hinterher. Bloß nichts sollte von dem verloren gehen, was Favre da so alles abließ.
„Das ist für mich ein Skandal“, sagte der Schweizer Trainer von Borussia Mönchengladbach nach dem 1:1 gegen Mainz 05. „Diese Regel hilft dem Fußball nicht. Das ist kein Fußball, absurd“, schrie Favre immer lauter. „Die Leute, die diese Regel gemacht haben, die haben nie in ihrem Leben Fußball gespielt. Diese Leute sind total dumm.“
Total dumm — das sind offenbar die Ordnungshüter des Fußballs, die jene Handspiel-Regel mit Leben gefüllt haben, über die inzwischen die Nation diskutiert. Die nämlich besagt, dass ein Spieler die Körperfläche durch eine abstrakte Armhaltung nicht unnatürlich vergrößern sollte — weil sonst Elfmeter gepfiffen wird, wenn diesem Spieler der Ball im Strafraum dergestalt an Hand oder Arm geschossen wird.
Der Aufreger entstand an der rechten Gladbacher Strafraumseite, als Verteidiger Julian Korb aus kürzester Entfernung den Ball nach einer scharfen Flanke des Mainzer Junior Diaz an die Hand bekam. „Ich stehe nur fünf Meter vom Ball weg, er springt mir an die Hand. Das war auf jeden Fall keine Absicht. Wo soll der Arm denn hin?“ so der Verteidiger.
Schiedsrichter Manuel Gräfe gab Elfmeter — und hatte der Regel nach wohl auch richtig entschieden, Jonas Hofmann traf zum 1:1. Richtig — oder eben doch nicht?
Korb hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: Ja, wo soll sie denn hin, die Hand? Favre erzürnte diese Diskussion so sehr, dass er in besagtem Interview noch zum Schauspieler wurde: „Ich sehe Spieler, die inzwischen so im Strafraum laufen“, sagte der Schweizer, hielt eine Arme wie angeklebt an den Körper und lief dabei einige Schritte. Das sah lustig aus — und gab einen Eindruck vom Irrsinn der Regel. Favre: „Sollen die Spieler mit den Händen auf dem Rücken laufen? Da verlieren sie das Gleichgewicht.“
Die Lage ist verzwickt. Laut Fifa-Regeln liegt ein Handspiel vor, „wenn ein Spieler den Ball mit seiner Hand oder seinem Arm absichtlich berührt“. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Weil auch Anderes zu beurteilen ist: etwa die Bewegung der Hand zum Ball, die Entfernung zwischen Gegner und Ball oder eben die Position der Hand.
Schiedsrichter-Boss Herbert Fandel hat darauf immer eine deutliche Antwort gehabt: „Die Vorgaben sind klar“, sagte er vergangenes Jahr. Wenn ein Spieler seine Körperfläche vergrößere, „ist dies als Handspiel zu ahnden“. Und während Fandels Kollege Hellmut Krug schon seit langem kritisiert, bei den Fachleuten fehle die Bereitschaft, sich mit dem Regelwerk detailliert zu beschäftigen, sehen die Trainer das ganz anders.
„Das Problem ist nicht die Regel, sondern die Auslegung. Die Schiedsrichter müssen mit zu viel Spielraum agieren. Dass sich Lucien Favre aufregt, kann ich absolut nachvollziehen“, sagte Dortmunds Trainer Jürgen Klopp gestern am Rande der Trainertagung in Mönchengladbach: „An die Regel muss rangegangen werden, sie ist noch nicht hundertprozentig.“ So kann man das auch formulieren.