Bolt-Gegner und Bad Guy: Gatlins zweifelhaftes Comeback
Peking (dpa) - Ihren ersten Massenauflauf wird die Leichtathletik-WM schon zwei Tage vor dem Beginn erleben. Am Donnerstag gibt Usain Bolt in Peking eine Pressekonferenz.
Der Superstar und sein Hauptsponsor haben in ein Luxushotel in der Nähe des Olympiastadions geladen, er wird dort über seine Form sprechen, über seinen Trainingsrückstand und vor allem: wie er am Sonntag im Finale über 100 Meter diesen Justin Gatlin schlagen will.
Der 33-jährige Amerikaner ist in der Leichtathletik selbst in Zeiten immer neuer Skandale der bekannteste Dopingsünder seiner Generation. Er ist aber auch der wohl gefährlichste Rivale, den Bolt je hatte. 26 Rennen in Serie hat Gatlin seit April 2014 gewonnen. Er hält die Weltjahresbestzeiten über 100 (9,74 Sekunden) und 200 Meter (19,57) und möchte nun genau zehn Jahre nach seinen beiden ersten WM-Titeln erneut der König des Sprints werden. „Ich will in diesem Jahr ein Statement abgeben“, sagte er und meint damit: auf der Bahn.
Denn groß angekündigte PR-Termine gibt es mit Gatlin in Peking nicht. Man könnte auch sagen: Mit Bolt möchte jeder gesehen werden. Bei seinem Herausforderer traut sich das kaum jemand.
Schon zweimal wurde der Amerikaner des Dopings überführt und auch gesperrt. Mittlerweile läuft er mit 33 Jahren schneller als zu den Zeiten, in denen er Weltmeister, Olympiasieger und nachweislich gedopt war. Im Fall Gatlin brauchte es nicht erst die spektakulären Doping-Enthüllungen der ARD, um seinen Leistungen zu misstrauen.
Deshalb jubeln die Zuschauer Bolt zu, aber nicht ihm. Und deshalb attackieren ihn andere Athleten ganz offen. „Er war zweimal wegen Dopings gesperrt, und ich glaube nicht, dass bei ihm ein Lerneffekt eingesetzt hat“, sagte Diskusstar Robert Harting der „Sport Bild“.
An Gatlin selbst prallt das völlig ab. „Es ist mir egal, was sie glauben“, sagte er dem „Spiegel“ über die Skepsis der Fans und Konkurrenz. Das Nachrichtenmagazin hat für seine aktuelle Ausgabe auch versucht, mit ihm über das Thema Doping zu reden. Gatlins Reaktion darauf: „Komm schon, Mann, hör doch auf mit diesen Fragen.“ Eine Nachfrage später meinte er: „Okay, das Interview ist vorbei.“
Die Frage ist: Was treibt jemanden an, nach einer langen Sperre noch einmal gegen das eigene Alter, einen vermeintlich unschlagbaren Gegner wie Bolt und gegen die Meinung der Zuschauer anzurennen? In einem Interview der „Neuen Zürcher Zeitung“ gab Gatlin darauf nach der WM 2013 zumindest einen Hinweis. „Meiner Mutter fielen vor Kummer die Haare aus, mein Vater stürzte in eine Depression, ich wurde fett“, sagte er da über die Zeit seiner vierjährigen Sperre bis 2010. „Ich habe bei meinem Comeback gesagt, dass ich so lange kämpfe, bis ich keine Kraft mehr habe. Das mache ich seit 2010.“
Im Gegensatz zu Bolt geht es für den Amerikaner nicht mehr darum, als Legende der Leichtathletik in die Geschichte einzugehen. Er versucht, aus seiner Karriere herauszupressen, was sich noch herauspressen lässt. Nach seinem zweiten positiven Dopingtest 2006 stand Gatlin kurz vor einer lebenslangen Sperre - bis er als Kronzeuge gegen seinen eigenen Trainer aussagte. Vielleicht ist es genau diese Rücksichtslosigkeit und Konsequenz, die Bolt gefährlich werden kann.
2009 gab es in Berlin schon einmal ein stark hochgepushtes Duell um den 100-Meter-Titel. Damals lief Bolt dem amtierenden Weltmeister Tyson Gay (USA) davon. Vor dem Rennen gab Gay eine Pressekonferenz, bei der er zwar große Töne spuckte („Ich möchte den Weltrekord brechen“), dabei aber so scheu auftrat wie ein Schüler beim Vortrag eines auswendig gelernten Gedichts. Später, als alle Kameras ausgeschaltet waren, zuckte er mit den Schultern und meinte: „Was soll ich denn sagen?“ Alles an ihm strahlte aus, dass er nie an einen Sieg gegen Bolt glaubte. Bei Gatlin ist das anders. Der hat einmal gesagt: „Ich trainiere doch nicht so hart, dass ich kotzen muss, nur um dann rauszugehen und die Lorbeeren einem anderen zu überlassen.“
Der direkte Vergleich: