Leichtathletik Crowdfunding für den großen Traum

Die Hürdenläuferin Djamila Böhm möchte 2018 bei der Heim-EM in Berlin starten. Geld für ihre Vorbereitung sammelt sie jetzt im Internet.

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Düsseldorf. 56,92 Sekunden. Exakt so lange brauchte Djamila Böhm bei den diesjährigen Deutschen Meisterschaften der Leichtathleten über 400 Meter Hürden. Das reichte bei den Wettkämpfen in Erfurt für den Sieg — der 23-jährigen Sportlerin vom ART Düsseldorf genügt dieser Erfolg aber noch lange nicht. Ihr nächstes großes Ziel: Die Heim-Europameisterschaft im August 2018 in Berlin. Doch für eine optimale Vorbereitung fehlen ihr die finanziellen Mittel — Förderung vom Verband erhält sie aktuell nicht. Sie setzt auf eine unkonventionelle Methode: Crowdfunding.

Bis zum 26. September können Firmen, Vereine oder Privatpersonen Djamila Böhm unterstützen. Am Ende sollen 6000 Euro stehen. Wird der Betrag nicht erreicht, fließt das Geld an die Gönner zurück. Kommt die Summe zusammen, hat Böhm eine genaue Vorstellung, was sie mit dem Geld anstellt: „Damit ich topfit in die EM-Saison starte, brauche ich ein zweites Trainingslager.“ Bisher hat sich die 23-Jährige einmal jährlich in Italien auf die Saison vorbereitet — auf eigene Kosten. Hinzu kommen soll ein zweites Lager, am liebsten in Portugal. Bei günstigen Wetterbedingungen soll der Fokus voll auf dem Training liegen.

Zudem möchte sie verstärkt an Wettkämpfen im Ausland teilnehmen: „In Deutschland ist die Konkurrenz nicht besonders groß. Insbesondere auf der Zielgeraden braucht man den Wettkampf, um optimale Leistungen zu erzielen.“ Doch auch die Kosten für Fahrt und Aufenthalt bei den internationalen Meetings müssen gedeckt werden. „2017 habe ich eigentlich bei allen Wettkämpfen draufgezahlt.“

Neben ihren neun Trainingseinheiten pro Woche studiert Djamila Böhm Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Momentan schreibt sie an ihrer Bachelorarbeit. Viel Zeit für Privatleben bleibt nicht: „Meine Freunde verstehen zum Glück, dass ich nach einem Tag mit zwei Trainingseinheiten und Arbeit für die Uni keine Lust mehr habe, etwas zu unternehmen.“ Da allerdings auch wenig Zeit für einen Nebenjob bleibt, ist Böhm — wie viele andere Athleten abseits der großen Ballsportarten — auf Förderung angewiesen. Bisher wird sie lediglich vom Sportstadtteam Düsseldorf unterstützt.

Warum sie aktuell nicht vom Deutschen Leichtathletikbund (DLV) gefördert wird, erklärt Verbands-Sprecher Eberhard Vollmer: „Ende September/Anfang Oktober werden die Sportler entsprechend ihrer Leistungen von den Bundestrainern in Kader eingeteilt, an denen sich die Höhe der Förderung bemisst.“ Djamila Böhms Gewinn der Deutschen Meisterschaft datiert aus dem Juli 2017. Bei der letzten Einteilung wurde sie deshalb — trotz Sieg bei den Deutschen Juniorenmeisterschaften — noch nicht berücksichtigt. Wenn in wenigen Wochen die Karten neu gemischt werden, sagt Vollmer, „ist sie mit Sicherheit im B-Kader vertreten“.

Dem A-Kader gehören Athleten an, die an internationalen Meisterschaften teilnehmen. Sie erhalten die meisten Zuwendungen. Im B-Kader ist die „zweite Reihe“ vertreten, die auf dem Weg in den A-Kader ist, während im C-Kader lediglich Athleten unter 20 Jahren berücksichtigt werden. Rund 800 Sportler gehören den Kadern an und erhalten Förderung des DLVs. Die Mittel dafür werden vom Bundesinnenministerium zur Verfügung gestellt — 2016 erhielt der Verband Zuwendungen in Höhe von über sieben Millionen Euro.

Wer glaubt die Sportler kriegen ihren Anteil ausgezahlt, der irrt. „Unsere Unterstützung richtet sich auf das Umfeld. Trainerteam, Physiotherapie, Lehrgänge“, sagt Eberhard Vollmer. Der Verband organisiert optimale Trainingsbedingungen, beteiligt sich an Fahrtkosten oder stellt nebenberufliche Trainer von ihrer Arbeit frei, damit sie sich optimal um ihre Schützlinge kümmern können.

Böhms Karriere war 2013 eigentlich schon beendet

Für Djamila Böhm besonders ärgerlich: Dass sie noch kein Mitglied des Bundeskaders ist, verhindert eine Förderung durch andere Institutionen. Die Sportstiftung NRW schüttet jährlich 3,9 Millionen Euro aus, um Sportler und Strukturen zu fördern. Grundvoraussetzung: Der Verband stellt einen Förderantrag mit sportlicher Prognose. Da sie aber im Moment kein Kadermitglied ist, kommt es gar nicht erst zu einem Antrag.

Nun probiert es Djamila Böhm auf eigene Faust. Das Crowdfunding kommt gut an: 14 Tage vor Ende der Aktion hat sie bereits 71 Unterstützer. Es fehlen noch rund 1600 Euro. So reibungslos lief es in ihrer Karriere nicht immer. Ihre ersten Erfahrungen bei Deutschen Meisterschaften machte sie als Mädchen beim Basketball.

Aufmerksamkeit erregte vor allem ihre Schnelligkeit. Im Alter von 14 Jahren entschied sie sich für die Leichtathletik. Wegen enttäuschender Ergebnisse und gesundheitlicher Beschwerden während des Trainings hing sie den Sport an den Nagel, als sie 2013 für ihr Studium von Köln nach Düsseldorf zog. „Nachdem ich ein Jahr nichts mit Sport zu tun hatte, merkte ich, dass mir etwas fehlt“, sagt sie heute. Beim ART Düsseldorf schnürt sie seit 2014 unter Trainer Sven Timmermann wieder die Laufschuhe. Seitdem verbessert sie ihre persönlichen Bestleistungen über die Paradedisziplin 400 Meter Hürden kontinuierlich und konnte mit dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft im Juli ihren vorläufigen Karrierehöhepunkt feiern. „In solchen Momenten weiß man, dass es die Arbeit und der Verzicht auf Freizeit wert waren.“

Die Teilnahme an der Heim-EM in Berlin ist das nächste große Ziel: „Vor dieser Kulisse im Olympiastadion laufen zu dürfen, wäre ein Traum.“ Die zu erfüllenden Normen zur Qualifikation sind noch nicht bekannt, ihr Trainer Sven Timmermann traut ihr jedoch einiges zu: „Wenn sie sich qualifiziert und das Halbfinale übersteht, ist alles möglich. Wir haben ihr bestes Rennen noch nicht gesehen.“