IAAF-Chef Coe: Aus Fehlern lernen

Berlin (dpa) - Dem ehemaligen Weltklasseläufer Sebastian Coe rennt die Zeit davon. Bis zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro muss der Brite einen Zwischenspurt einlegen - und die ganze Mission dürfte zu einem Marathon werden.

IAAF-Chef Coe: Aus Fehlern lernen
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Die WADA-Kommission hat in ihrem zweiten Bericht neue Skandale und Missstände innerhalb des Leichtathletik-Weltverbandes aufgedeckt. IAAF-Präsident Coe steht unter Druck, jeder seiner Schritte wird nun genau beobachtet werden - denn auch auf ihm liegt der Schatten der Vergangenheit.

„Wenn man sich in diesem System bis ganz an die Spitze vorgearbeitet hat, muss man es faustdick hinter den Ohren haben“, sagte der Doping-Experte Perikles Simon der Deutschen Presse-Agentur. „Jetzt sind alle glücklich. Der König ist tot, es lebe der König. Coe kann jetzt machen, was er will. Aber das Problem ist nicht gelöst.“

In der Tat: Der 59 Jahre alte Brite muss nun den „Schweinestall Leichtathletik“ („Neue Zürcher Zeitung“) ausmisten. „Mir ist klar, dass die IAAF noch ein enormes Stück Arbeit vor sich hat, um das öffentliche Vertrauen wieder herzustellen“, gab der zweimalige Olympiasieger zu. Nach der Aufdeckung des systematischen Dopings in Russland und ungeheuerlicher Missstände in der alten IAAF-Führungsriege um Lamine Diack ist der eloquente Brite jetzt gefordert, nun sind schnelle Taten statt schöner Worte gefragt.

Coe muss neue Strukturen im Weltverband schaffen, vor allem im Doping-Kontrollsystem, zudem Glaubwürdigkeit und Akzeptanz wieder herstellen. Das ist seine einzige Chance, auch wenn der Londoner Olympia-Organisator von IOC-Senior und WADA-Kommissionschef Richard Pound schon einen Kredit auf die Zukunft erhielt: Der Kanadier traut Coe zu, die IAAF aus der Krise zu führen: „Ich kann mir keinen Besseren vorstellen als Lord Coe“, sagte Pound. Der Skandal biete die „fantastische Chance“, den Sport nun zu säubern.

Mit oder ohne Coe? Viele Kritiker und Beobachter halten den Lord für einen Mitwisser alter Machenschaften und trauen ihm den Job als Chef-Reformer nicht zu. Seit 2003 sitzt er im IAAF-Council, von 2007 bis 2015 war er Vizepräsident neben Chef-Betrüger Diack. „Coe und Co. mussten es wissen“, befand deshalb die Zeitung „The Sun“. Er durfte bleiben - „trotz einer neuen Welle belastender Hinweise gegen die Organisation, die er jetzt leitet“.

Die englische Zeitung „Independent“ forderte seinen Rücktritt. „Selbst wenn Coe so unschuldig ist, wie Pound behauptet, so ist er erschütternd naiv, oder über alle Maßen unwissend - genau das Gegenteil eines Reformers. Er muss gehen“, kommentierte das Blatt am Freitag. „Sebastian Coe muss von Dopingvergehen und einer Verschwörung innerhalb des IAAF gewusst haben, hat jedoch nichts zur Klärung unternommen.“

Bis zu den Sommerspielen in Rio hat Coe nur noch sieben Monate Zeit. Im „Schaufenster“ Olympia soll sich die Leichtathletik dann wieder mit einem frischen Image präsentieren. Und vielleicht mit den Assen aus Russland. Dem derzeit suspendierten russischen Verband kann und will der erst seit August 2015 amtierende Präsident Wege zur Olympia-Teilnahme ebnen.

Im Riesenreich sind Reformen eingeleitet, und in Moskau wird an diesem Samstag eine neue Verbandsführung gewählt. „Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber ich bin entschlossen, dass wir von ihr lernen werden - und die Fehler nicht wiederholen“, betonte Coe. Die IAAF müsse „ihre Strukturen überholen und dafür die Führung austauschen“, kommentierte die „Süddeutsche Zeitung“. Und „diese Behandlung muss beim englischen Patienten ansetzen, bei Sebastian Coe“. Dessen wichtigster Wettkampf hat gerade erst begonnen.