Interview: DLV-Präsident zuversichtlich vor EM-Start
Zürich (dpa) - Vor Beginn der Europameisterschaften am 12. August in Zürich herrscht große Zuversicht beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV).
„Ich denke und hoffe aber, dass wir mindestens so gut wie in Helsinki abschneiden“, sagte DLV-Präsident Clemens Prokop im Interview der Nachrichtenagentur dpa.
Ein Platz unter den besten drei Nationen ist das Ziel. „Wir bleiben bei der Tradition: Eine Medaillenvorgabe wird es nicht geben“, sagte DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen zu Spekulationen über den Gewinn von bis zu 20 Medaillen. Bei der EM 2012 in Helsinki gewannen die deutschen Athleten 16 Edelplaketten und waren am Ende Nummer eins der Medaillenwertung vor Russland.
Der DLV geht mit großem Optimismus in die Wettkämpfe des ersten Tages, an dem Kugelstoß-Ass David Storl seinen Titel verteidigen will und für eine Initialzündung sorgen könnte. „Der erste Tag wird ein erster Gradmesser für die DLV-Mannschaft sein“, sagte Kurschilgen. In 14 der ersten 15 Qualifikationen werden deutsche Athleten antreten. Nicht mit dabei ist der behinderte Weitspringer Markus Rehm. Clemens Prokop verteidigte dessen Nichtnominierung und weist die Kritik daran zurück.
Der Fall des unterschenkelamputierten Weitspringers Markus Rehm hat hohe Wellen geschlagen. Er ist deutscher Meister der Nichtbehinderten geworden, aber trotz Erfüllung der Norm vom DLV nicht für die EM in Zürich nominiert worden! Treten die drei richtigen Weitspringer in Zürich an?
Prokop: Die Springer haben die Voraussetzungen für die Nominierung erfolgreich erfüllt. Wenn es Zweifel gegeben hätten, wären sie nicht nominiert worden.
Der DLV musste nach der Nichtnominierung von Rehm viel Kritik einstecken. Fühlt sich Ihr Verband ungerecht behandelt?
Prokop: Zum Thema Inklusion haben wir durch die Teilnahme Rehms an den deutschen Meisterschaften in Ulm ein großes Ausrufezeichen gesetzt. Wir sind der Verband, der Inklusion ohne Übertreibung so offen behandelt wie kaum ein anderer. Manche Reaktionen sind nicht nachvollziehbar. Zum Beispiel, dass die Inklusion entscheidender sein soll als die Chancengleichheit im Wettbewerb. Ideologisch ist das nachvollziehbar, aber Ungleichheit im Wettbewerb ist nicht annehmbar.
Bei der EM 2012 in Helsinki konnten die DLV-Starter 16 Medaillen gewinnen. Kann diese Medaillenzahl in Zürich erreicht oder übertroffen werden?
Prokop:Wir sind tendenziell stärker als vor zwei Jahren aufgestellt. Allerdings muss man berücksichtigen: Die Konkurrenz in Zürich wird stärker als in Helsinki sein, weil es reguläre Europameisterschaften sind und nicht welche in einem Olympia-Jahr. Ich denke und hoffe aber, dass wir mindestens so gut wie in Helsinki abschneiden.
Der DLV schickt mit 92 Athleten eines der größten Aufgebote zu einer EM. Ist dies auch Ausdruck der wiedergewonnenen Leistungsstärke?
Prokop:Mit der WM 2009 in Berlin haben wir begonnen, nach einem spürbaren Abschwung wieder etwas aufzubauen. Die Olympischen Spiele 2012 waren eine der erfolgreichsten seit vielen Jahren und wir waren der erfolgreichste deutsche Fachverband in London. Erstaunlich, wenn man weiß, wo wir hergekommen sind: 2008 in Peking waren wir das Sorgenkind mit nur einer Medaille. Inzwischen haben wir nicht in ein, zwei Disziplinen gute Athleten, sondern sind in der Breite gut aufgestellt. Bei der EM in Zürich geht eine sehr junge Mannschaft mit guter Perspektive an den Start. Wir haben in vielen Disziplinen nicht nur einsame Helden, sondern echte Konkurrenzverhältnisse.
Diskus-Olympiasieger Robert Harting war lange Zeit so ein einsamer, aber erfolgreicher Held. Nun wird der Berliner von einer Anzeige bedroht, wenn er sein Trikot bei der EM noch einmal zerreißen sollte. Er soll damit deutsche Symbole beschädigen und sich strafbar machen!
Prokop: Wir sehen nach einer Prüfung die Anzeige als nicht zutreffend an. Das ist ein Delikt, das von der Staatsanwaltschaft von sich aus verfolgt würde. Dazu bräuchte es keine Anzeige. Man kann davon ausgehen, auch der Staatsanwaltschaft ist sicher nicht entgangen, dass Robert Harting nach großen Siegen sein Trikot zerrissen hat.
Im Laufbereich geht es voran. Der Wattenscheider Julian Reus ist in 10,05 Sekunden deutschen Rekord über 100 Meter gelaufen. Jetzt träumt er von einer Zeit unter zehn Sekunden. Überrascht sie die Entwicklung?
Prokop:Es ist keine Überraschung, die Entwicklung hat sich abgezeichnet und ist eine Folge der wirklich intensiven Trainingsbegleitung, die wir im Sprint machen. Ich denke an das lange Trainingslager in Florida vor der Staffel-WM im Mai. Solche Maßnahmen zahlen sich aus. Wir haben zurzeit mehrere gleichwertige und sehr schnelle Sprinter. Diese Konkurrenz belebt natürlich in besonderer Weise die Leistungsentwicklung.
Was für eine Bedeutung hätte es, wenn ein deutscher Sprinter die Zehn-Sekunden-Marke unterbietet. Ist Deutschland dann wieder eine Sprint-Nation?
Prokop:Das wäre zu hochgegriffen. Es bedeutet für den Sportler so etwas wie den Adelsschlag und für uns als Land, dass wir die Misere, die wir im Sprint lange hatten, endlich überwunden haben. Wir können im Konzert der Großen zumindest mitreden, auch, wenn man weiß, dass es Ausnahmekönner gibt, mit denen man nicht mithalten kann. Wir sind aber wieder dabei. Zumal wir die Situation haben, dass ein deutscher Sprinter in diesem oder nächsten Jahr unter Zehn laufen kann - und ich weiß noch nicht mal, wer es sein wird.
Julian Reus hat Kritik an Doping-Sünder im Sprint wie Asafa Powell geäußert, die schon nach wenigen Monaten wieder losflitzen durften!
Prokop:In der Tat ist es so, dass manche kurze Sperre für Sprinter im internationalen Bereich für Unbehagen sorgt. Für mich ist jedoch wichtiger, dass sie nicht als Dopingsünder zurückkehren, sondern als geläuterte Sportler.
Auch bei den Mittelstrecken können deutsche Läufer wie Homiyu Tesfaye und einige andere bei der EM vorne mitmischen...
Prokop:Die Team-EM Ende Juni in Braunschweig hat gezeigt, dass wir uns im Mittel- und Langstreckenbereich mit neuen Namen nach vorne entwickeln. Wir haben überraschende Siege erlebt, was keine Garantie ist, dass wir diese Siege auch in Zürich erleben werden, aber wir haben konkurrenzfähige Athleten wie Tesfaye. Er kann sogar auf Weltebene mithalten.
ZUR PERSON: Clemens Prokop ist seit 2001 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Der 57-jährige ehemalige Weitspringer und Jurist ist Direktor des Amtsgerichts in Regensburg. Prokop gilt als engagierter Kämpfer gegen Doping.