Kenias Klasse: Es läuft wie geschmiert
Daegu (dpa) - Kenia feiert seine Läuferinnen: Leichtfüßig wie Gazellen enteilen die 10 000-Meter- und Marathon-Spezialistinnen bei der Weltmeisterschaft ihren Rivalinnen.
Als Meselech Melkamu auf der Bahn etwas vehement zwischen die vier führenden Kenianerinnen drängte, da drehte sich Tempomacherin Linet Masai um und erhob wütend den Zeigefinger gegen die Äthiopierin. Es war keine leere Drohgebärde: Kenias Läuferinnen um 10 000-Meter-Siegerin Vivian Cheruiyot und Marathon-Gewinnerin Edna Kiplagat schrieben zum Auftakt der WM in Daegu Leichtathletik-Geschichte. Die Ausdauerspezialistinnen aus dem ostafrikanischen Land räumten alle sechs Medaillen ab.
Als Topfavoritin Edna Kiplagat beim 42,195- Kilometer-Klassiker nach 2:28:43 Stunden vor ihren Teamkolleginnen Priscah Jeptoo und Sharon Cherop ins Ziel kam, da saßen die kenianischen 10 000-Meter-Spezialistinnen im Athletendorf vor dem Fernseher. „Wir waren inspiriert durch die Marathon-Mädchen und wollten das Gleiche erreichen“, erzählte Cheruiyot später.
Gold, Silber und Bronze an ein Land - das gab es bei WM und Olympia im Marathon bisher weder bei Frauen noch bei Männern. Selbst ein Sturz an der letzten Wasserstation konnte Kiplagat nicht aufhalten. „Ich bin gefallen, und meine Teamkameradin Sharon Cherop hat bei dem Unfall mein Bein getroffen. Da habe ich befürchtet, mich verletzt zu haben, doch ich war okay“, schilderte die 31 Jahre alte Weltmeisterin die heikle Situation.
Über 10 000 Meter hatten Äthiopiens Frauen 2001 in Edmonton und 2005 in Helsinki den kompletten Medaillensatz abgeräumt, doch inzwischen zahlen sie Fersengeld: Melkamu fiel auf Rang fünf zurück, Meserat Defar stieg ganz aus. „Ich war glücklich, als ich ins Ziel kam und die anderen hinter mir gesehen habe. Heute war ein großartiger Tag für die Kenianer“, meinte Cheriuyot nach ihrem erst dritten Rennen über die 25 Runden in der Siegzeit von 2:28:43 Stunden.
Hinter der 27-Jährigen trudelten gleich drei weitere Kenianerinnen mit wippenden Pferdeschwänzen ein: Sally Kipyego, die entthronte Titelverteidigerin Linet Masai und Priscah Cheroni. Der Medaillenspiegel des ersten WM-Tages war ebenfalls ein Novum: Kenia zweimal Gold, zweimal Silber, zweimal Bronze. Der Rest der Welt: Null. Für die Läufer-Nation, 2009 bei der WM in Berlin hinter den USA, Russland und Jamaika viertbestes Teilnehmer-Land, lief es wie geschmiert.
„Es ist nicht gut, wenn ein Land so dominiert in einem Bereich“, sagte IAAF-Council-Mitglied. „Dann wird es schnell langweilig. Ich bin überrascht, dass Äthiopien nicht mehr so stark ist. Früher gab es wenigstens einen Zweikampf zwischen den beiden Ländern.“
Für Idriss Gonschinska, im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) verantwortlicher Bundestrainer für Sprint und Lauf, stecken mehrere Gründe hinter den Erfolgen der Kenianerinnen. „Kenia ist ja traditionell ein Läuferland. Ich glaube, dass sich dort die Rolle der Frau entwickelt hat“, sagte der Sportwissenschaftler. „Die Athletinnen haben ein tolles Last-Kraft-Verhältnis, sind unglaublich erfolgshungrig und trainieren unglaublich hart. Dort gibt es fantastische Trainingsbedingungen im Hochland und sie laufen viel, viel mehr als die Europäerinnen.“