Leichtathletik steht am Doping-Pranger
Düsseldorf (dpa) - Die Leichtathletik steht nach dem Doping-Skandal um die Topsprinter Tyson Gay und Asafa Powell weltweit am Pranger. Der Ruf der olympischen „Königs-Sportart“ leidet aber schon seit geraumer Zeit.
Olympiasieger, Weltmeister und Europameister werden seit Jahren in Serie aus dem Verkehr gezogen. „Viele werden den Athleten nicht mehr trauen. Das ist der größte Schaden, den man einem Sport zufügen kann“, sagte das deutsche IAAF-Councilmitglied Helmut Digel im ARD-„Morgenmagazin“.
Auf der aktuellen Liste des Weltverbandes IAAF stehen 265 Namen von Athleten, die wegen Dopings suspendiert oder gesperrt sind. Nach einer Doping-Welle in Russland droht nun auch der Türkei ein Massenausschluss seiner Sportler von den Weltmeisterschaften vom 10. bis 18. August in Moskau: Spekulationen über 30 positiv getestete türkische Leichtathleten kursieren in der Szene. Allein acht der Ertappten sollen bei der Team-EM im Juni in Gateshead am Start gewesen sein.
IOC-Präsident Jacques Rogge und die IAAF wollen von einer tiefen Vertrauenskrise in der Leichtathletik weiter nichts wissen. Beide Organisationen werteten den neuen Dopingskandal als Fahndungserfolg. „Natürlich kann der Kampf gegen Doping nie ganz gewonnen werden“, betonte Rogge, „aber diese Fälle unterstreichen einmal mehr, den starken und intelligenten Kampf, den das IOC und seine Partner aus der olympischen Bewegung gegen Doping kämpfen.“
Der IAAF-Vizepräsident Sebastian Coe versprach, „den Fuß nicht vom Gaspedal“ beim Anti-Doping-Kampf zu nehmen. „Wir können es uns nicht erlauben, diesen Krieg zu verlieren“, stellte der Cheforganisator der Olympischen Spiele in London klar, „lieber nehmen wir solche Peinlichkeiten wie bei diesen Geschichten in Kauf als den Verfall des Sports zu einem Punkt, an dem niemand mehr den Athleten vertraut.“
Dass auch auf Deutschland zeitnah wieder ein Doping-Skandal zukommen wird, befürchtet der Sportmediziner Perikles Simon. „Wenn die Verfahren ernsthaft umgesetzt würden, würde ich sagen: Es ist nur eine Frage der Zeit“, sagte der Dopingforscher aus Mainz der „Berliner Morgenpost“ (Dienstag).
Trotz der spektakulären Dopingfälle des US-Sprinters Tyson Gay und Asafa Powell sowie weiterer vier jamaikanischer Leichtathleten hält das ZDF an der geplanten WM-Berichterstattung aus Moskau fest. „Wir werden noch aufmerksamer und genauer hinschauen, aber über einen Ausstieg aus der Leichtathletik-Berichterstattung denken wir momentan nicht nach“, sagte ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz.
Unterdessen machte Powells Manager Paul Doyle den Fitnesstrainer Christopher Xuereb für den positiven Dopingtest des ehemaligen 100-Meter-Weltrekordlers verantwortlich. Der Kanadier habe Powell eine Mischung aus mehreren Nährungsergänzungsmitteln und Spritzen verabreicht, sagte Doyle der „New York Times“. Auch Powells Teamkollegin, die ebenfalls überführte Sherone Simpson, Olympia-Zweite von 2008, sei von Xuerebs Behandlungen betroffen. „Er hat ihnen viele verschiedene Dinge gegeben und wir wissen immer noch nicht, was den positiven Test verursacht hat.“
Wenig Glauben schenkt der Leiter des Doping-Analyselabors in Köln den Beteuerungen von Powell und dessen Betreuern, versehentlich gedopt zu haben. „Vor vier Jahren hatten wir das gleiche Problem. Vor den Weltmeisterschaften 2009 wurden fünf Jamaikaner positiv auf Methylhexanamin getestet“, sagte Wilhelm Schänzer.
Es ist ein Stimulanzmittel, das mit dem von Powell und Simpson eingenommenen Oxilofrin vergleichbar ist. „Die Warnungen vor Methylhexanamin in Nahrungsergänzungsmitteln waren eigentlich gut angekommen“, sagte Schänzer. „Sie haben eine Wirkung, die nicht zu vernachlässigen ist. Doch sie sind leicht nachzuweisen. Wer sich damit dopt, der hat von Doping keine Ahnung.“
Vor der WM 2009 in Berlin waren ebenfalls Sprinter aus Jamaika bei ihren nationalen Meisterschaften positiv auf Methylhexanamin getestet worden. Dazu gehörten Yohan Blake, der 2011 Weltmeister über 100 Meter wurde, Lansford Spence, Marvin Anderson und Allodin Fothergill. Alle erhielten Sperren von wenigen Monaten.
„Das Athleten heute noch darauf zurückgreifen, kann man sich gar nicht vorstellen“, meinte Schänzer. „Wenn denen das vor vier Jahren passiert ist, warum passiert es wieder. Sind die so blind.“ Aus diesem Grund dürfe man diese Doping-Fälle nicht herunterspielen - auch nicht, weil es sich nur um „leichtere“ Vergehen mit Stimulanzmittel handele. „Es sind bekannte Sprinter, sie sind positiv getestet und darum ist es auch ein Skandal“, meinte Schänzer.