Stabile Nerven: Schwanitz schafft goldenen WM-Stoß

Peking (dpa) - Christina Schwanitz musste erst ihr Blackout besiegen, um die beste Kugelstoßerin der Welt zu werden.

Foto: dpa

Bei einer Prüfung zum Realschulabschluss spürte sie dieses schwarze Nichts zum ersten Mal. „Und das hat sich fortgesetzt: Immer wenn Stress auftrat, hatte ich einen Blackout“, sagte die 29-jährige Sächsin nach ihrem Siegesstoß bei der Leichtathletik-WM in Peking. Eine Psychologin hat ihr das „Problem im Kopf weg gemacht“, so Schwanitz. „Seitdem kann ich - meistens - weit stoßen.“ Jetzt ist sie Weltmeisterin!

Ihr Nervenkostüm ist inzwischen so stabil, dass sie auch brenzlige Situationen wie beim Goldkampf im „Vogelnest“-Stadion von Peking meistern kann. Obwohl ihre chinesische Widersacherin Lijiao Gong gleich im ersten Versuch 20,30 Meter vorlegte und Schwanitz zweimal nicht darüber hinaus kam, bekam sie nicht die große Flatter.

In Durchgang drei katapultierte sie die Kugel auf 20,37 Meter und landete damit den goldenen Wurf. „Entspannt war es nicht, dafür aber interessant. Sieben Zentimeter reichen auch“, lautete der vergnügte Kommentar des Kraftpakets vom LV 90 Erzgebirge. „Nach dem zweiten Versuch habe ich schon gezittert, da hätte es auch schief gehen können“, fürchtete ihr Trainer Sven Lang zu. „Als Christina noch so instabil war, wäre sie nur Zweite geworden.“

Dank psychologischer Hilfe sind die sportliche Tiefschläge der Sportsoldatin nur noch Episoden aus der Vergangenheit: Der Aussetzer im WM-Finale 2011 in Daegu, wo sie Zwölfte wurde, und das Aus in der Qualifikation bei der Hallen-WM 2012 in Istanbul. Seitdem geht es mit ihrer Karriere steil nach oben. 2013 WM-Zweite, 2014 Europameisterin, 2015 Weltmeisterin - und 2016 Olympiasiegerin?

„Nun mal langsam. Erstmal träume ich von meinem Urlaub. Und dann mal gucken, wie es läuft“, meinte Schwanitz. „Der Körper muss halten, da gibt es viele Facetten, die da reinspielen.“ Schließlich musste sie im vergangenen Jahr nach einer nicht gut verlaufenen Knie-Operation darum bangen, überhaupt wieder Sport treiben zu können. „Das war die Hölle für den Kopf“, berichtete die erst zweite deutsche Weltmeisterin im Kugelstoßen nach Astrid Kumbernuss.

Die Frohnatur mit dem geflochtenen Zopf erholte sich nicht nur, sondern erlebt nun die „beste Saison ihres Lebens“ mit einer neuen Bestleistung von 20,77 Metern und dem WM-Triumph. Außerdem war es für eine Kugelstoßerin ein außergewöhnlich lukratives Jahr: Schwanitz steht als Diamond-League-Siegerin fest und kassiert dafür 40 000 US-Dollar (rund 35 000 Euro). Außerdem wird ihr WM-Gold noch mit einer Prämie von 60 000 Dollar versilbert.

„Wenn ich noch mal in den Bereich 20,77 Meter stoßen und solche Weiten vielleicht etwas routinierter abrufen könnte, wäre es für Olympia in Rio noch mal eine andere, leichtere Ausgangssituation“, hofft Schwanitz. „Doch stoßen muss ich dort trotzdem. Schenken tut mir keiner etwas.“ Am wenigsten wohl die zweifache Olympiasiegerin Valerie Adams (Neuseeland), die nach einer Verletzung auf die WM verzichtete.

Ob die chinesische WM-Zweite Jijiao Gong Schwanitz noch gefährlicher werden kann? Schließlich wird sie von dem deutschen Trainer Dieter Kollark betreut, der schon Astrid Kumbernuss zu drei WM-Titeln und 1996 zum Olympiasieg führte.

Auf den Neubrandenburger Kollark ist die neue Weltmeisterin nicht gut zu sprechen. „Wenn man Ausländer bevorzugt, statt die eigenen Leute in die Weltspitze zu führen, sagt es eigentlich sehr viel über den Charakter aus“, meinte Schwanitz. „Deshalb freut es mich umso mehr, dass ich Weltmeisterin geworden bin.“