Usain Bolt: Umjubelt, aber nicht mehr unantastbar
Ostrau (dpa) - Usain Bolt bleibt das große Phänomen der Leichtathletik. Der Überflieger zeigt zum ersten Mal Schwächen, ist aber auch so noch zu schnell für einen ehemaligen Weltrekordler oder den Weltjahresbesten.
Der Bolt-Hype bleibt ungebrochen.
Bolt ist sich derzeit selbst ein Rätsel. Bei seinem zweiten, nur sehr knappen Sieg nach neunmonatiger Wettkampf-Pause wurden vor allem zwei Dinge deutlich: Wo der jamaikanische Superstar ist, ist nach wie vor die Show in der Leichtathletik. Auch beim „Golden Spike Meeting“ in Ostrau kreischten die Zuschauer vor und nach dem 100 Meter-Sieg des 24-Jährigen in 9,91 Sekunden wie bei der Ankunft eines Popstars. Rein sportlich aber hat der vermeintlich Überirdische etwas von seiner Unantastbarkeit verloren.
Drei Monate vor der WM wirft der Weltrekordhalter Fragen auf, die zwei Jahre lang niemand ernsthaft zu stellen brauchte. Wie gut ist er wirklich zurzeit? Und haben ein Tyson Gay (USA) oder sein Landsmann Steve Mullings sogar eine reelle Chance gegen ihn in Daegu? Mullings jedenfalls blieb in Ostrau mit seinen 9,97 Sekunden in Reichweite - und Bolt zum zweiten Mal über der Weltjahresbestzeit (9,89) seines Landsmanns.
„Das ist keine Krise“, sagte der Weltmeister und Olympiasieger. „Meine 9,91 Sekunden sind nicht schlecht, könnten aber auch besser sein. Ich habe mehr erwartet.“ Bolt schwankte in allem, was er sagte, zwischen Unzufriedenheit, Zuversicht und Trotz. „Die Leute erwarten von mir, dass ich extrem schnell laufe“, meinte er. „Aber sie müssen auch bedenken, dass das erst mein zweites Rennen in neun oder zehn Monaten war. Ich kann nicht hierherkommen und 9,8 oder 9,7 laufen. Vielleicht werde ich erst Ende Juli richtig schnell laufen können.“
Bolts Leistungen sind auch für ihn nur schwer einzuordnen zurzeit. Einerseits besiegte er nach seinen Rückenproblemen quasi aus dem Stand den ehemaligen Weltrekordler Asafa Powell in Rom und den Weltjahresbesten Mullings in Ostrau. Andererseits hat er vor allem beim Start noch erhebliche Probleme. Bolt kündigte an, nach dem Diamond-League-Meeting nächste Woche in Oslo erst einmal nach Jamaika zurückzufliegen. „Dort werde ich meine harte Arbeit fortsetzen und vor allem an meinem Start arbeiten“, meinte er. In Europa wird er erst Anfang Juli zu seinem Start in Paris zurück erwartet.
Der Überflieger ist so in den Alltagssorgen ganz gewöhnlicher Athleten angekommen. Er hat mit seinem Coach in mühsamer Kleinarbeit an einem Defizit zu feilen und hörbar gegen leichte Selbstzweifel anzukämpfen. „Die lange Pause hat mich wirklich nervös gemacht. So nervös war ich drei oder vier Jahre lang nicht mehr“, erzählte Bolt in Ostrau. „Aber technisch war mein Rennen schon deutlich besser als in Rom. Das war ein gutes Zeichen. Jetzt denke ich wieder positiv.“
Was dabei herauskommt, wird sich aber wahrscheinlich erst bei den Weltmeisterschaften vom 27. August bis 4. September zeigen. Bis dahin wollen sich Bolt und sein größter Rivale Tyson Gay weiter aus dem Weg gehen. Immerhin ist die Form des Amerikaners im Moment noch schwerer einzuschätzen: Er ist in diesem Jahr noch kein einziges offizielles Rennen über 100 Meter gelaufen.