Wierig macht selbst Diskus-Riese Harting froh
Ostrau (dpa) - Der bislang größte Moment seiner Karriere hatte etwas Einschüchterndes für Martin Wierig. Der deutsche Diskuswerfer saß allein auf einer überdachten Bank im hintertesten Winkel der Wurfanlage von Ostrau.
Er konnte offensichtlich selbst kaum glauben, dass er gerade die komplette Weltelite inklusive Robert Harting geschlagen hatte. Der Weltmeister und Olympiasieger hatte Wierig gleich nach dessen Wurf auf 67,46 Meter im vorletzten Versuch gratuliert. Und jetzt kamen auch noch die anderen schweren Jungs auf ihn zu, zu denen der 26-Jährige aus Magdeburg bislang in Tschechien eher respektvoll aufgeschaut hatte.
Der frühere Weltmeister Gerd Kanter (Estland/66,97) gab ihm die Hand, der Weltjahresbeste Piotr Malachowski aus Polen (66,95) streckte ihm anerkennend den erhobenen Daumen entgegen. Auch der lange führende Ehsan Hadadi (66,98) meinte ganz aufgekratzt: „Was für ein Wettbewerb!“ Damit nahm der Olympia-Zweite aus dem Iran dem überraschenden Sieger beinahe die Worte aus dem Mund. Denn auch Wierig sprach hinterher vom „bislang stärksten Wettkampf meiner Karriere. Es war immer ein Traum von mir, Robert zu schlagen“, sagte er. „Die anderen hatte ich ja schon einmal geschlagen - nur nie alle zusammen. Jetzt bin ich schon ein bisschen stolz auf mich.“
Harting verbesserte sich mit seinem letzten Versuch immerhin vom fünften auf den zweiten Platz (67,10). Auch für ihn war es ein einschneidender Abend. Der Titelsammler aus Berlin hatte zuletzt im Juli 2006 gegen zwei andere deutsche Werfer verloren - die hießen damals noch Lars Riedel und Michael Möllenbeck. Hinzu kommt: Noch vor einem Monat sah es so aus, als könnte der 28-Jährige im August seinen dritten WM-Titel quasi im Vorbeigehen gewinnen. Doch nun hat er neben dem wiedererstarkten Hadadi und dem unberechenbaren Malachowski auch noch Konkurrenz aus den eigenen Reihen erhalten.
„Das ist doch geil. Wir pushen uns gegenseitig. Die ganze Disziplin ist durcheinandergemischt worden“, meinte Harting dazu. Für Wierig freue er sich sehr. „Martin hat es endlich mal geschafft. Wir verstehen uns super.“ Und auch für ihn selbst gelte: „Immer nur vorneweg ist anstrengend. Fighten, jagen - das gefällt mir mehr.“
Anderthalb Monate vor den Weltmeisterschaften in Moskau ist die Situation für beide deutsche Werfer neu. Harting entschied vor drei Wochen, seine Technik noch einmal zu verändern, nachdem er in Hengelo gegen Malachowski seine erste Niederlage nach 35 Siegen kassiert hatte. „Solange ich immer gewonnen habe, bestand dazu keine Notwendigkeit“, sagte er. „Jetzt ist das so, als ob man das Fleisch auf einmal mit dem Löffel isst, nachdem man immer Messer und Gabel benutzt hat. Aber nach den deutschen Meisterschaften werde ich das im Griff haben. Hauptsache in Moskau weht am Ende Schwarz-Rot-Gold.“
Wierig stand bislang stets im Schatten seines Landsmanns, was für ihn Vor- und Nachteil zugleich war. „Einerseits wird ein sechster Platz bei Olympia nicht so gewürdigt, wenn der Olympiasieger aus dem eigenen Land kommt“, sagte er über seinen bislang größten Erfolg vor einem Jahr. Andererseits konnte er sich von Harting immer etwas abschauen und so in aller Ruhe entwickeln. „Mit Robert zu trainieren, ist ein Riesen-Vorteil. Man kann sich an ihm orientieren und sieht immer: Wie weit ist man weg? Wie nah ist man dran?“
In Ostrau zog er nun sogar zum ersten Mal vorbei. Als Mitfavorit für die WM sieht sich Wierig deshalb aber noch nicht. „Mein Ziel ist, in Moskau eine Saisonbestleistung zu werfen und dann zu sehen, wo es langgeht“, sagte er. An seinem WM-Tipp hat sich nichts geändert: „Robert wird sein Ding dort sicher wieder machen.“