London im Brennpunkt: Olympia-Macher mit Sorgen
London (dpa) - Brennende Häuser, entsetzte Top-Athleten, besorgte Funktionäre, und jetzt auch noch die Absage des Länderspielknüllers England - Niederlande: 353 Tage vor der Eröffnungsfeier ringt Olympia-Gastgeber London um Fassung.
Nach den schweren Krawallen sind das IOC und die Olympia-Macher um Deeskalation bemüht und warnen vor Panikmache, aber die unschönen Bilder von der „Schlacht um London“ (Daily Telegraph) haben längst Wirkung gezeigt. Die BBC zweifelt an der „Olympia-Tauglichkeit der Londoner Polizei“, Ex-HSV-Star Rafael van der Vaart (Tottenham Hotspur) sieht sogar den pünktlichen Start der Premier-League-Saison an diesem Samstag in Gefahr: „Mein Gefühl sagt Nein. Ich bin geschockt von den Bildern. Es ist unglaublich.“
Die Verantwortlichen der Liga erklärten am Dienstagabend, sie stünden in ständigem Austausch mit den Londoner Erstligisten, der Polizei und den Behörden. Aufgrund der derzeitigen Informationen gebe es keinen Grund davon auszugehen, dass Spiele außerhalb Londons von den jüngsten Vorfällen beeinflusst würden.
Bei der pompösen Countdown-Party „ein Jahr vor Olympiabeginn“ hatte der Chef der London-Spiele, Sebastian Coe, noch getönt: „Wir sind bereit.“ Jetzt wird das gesamte Sicherheitskonzept infrage gestellt. Großbritanniens Marathon-Star Paula Radcliffe schämt sich sogar für ihre Landsleute: „In weniger als einem Jahr wollen wir die Welt in London willkommen heißen, im Moment will die Welt aber nicht zu uns kommen.“ In dieser Woche laufen drei olympische Testwettkämpfe in der britischen Hauptstadt, zudem begann am Dienstag ein viertägiges Meeting für mehr als 200 Delegationsleiter der verschiedenen Olympia-Teams.
„Ich fühle mich sicher in London, eine objektive Gefahr oder negative Auswirkungen für die Spiele sehe ich nicht, aber diese Bilder sind den Organisatoren natürlich gar nicht recht“, sagte Michael Vesper, der deutsche Chef de Mission, der Nachrichtenagentur dpa. Es wäre „völlig falsch, sich verrückt machen zu lassen“.
Drei Begegnungen des englischen Ligapokals und das Länderspiel zwischen Ghana und Nigeria in Watford wurden trotzdem abgesetzt. Die Absage des hochkarätigen Test-Länderspiels im Fußball-Tempel Wembley begründete der niederländische Verband auf seiner Homepage damit, dass nach Angaben aus England „alle verfügbaren Polizeikräfte“ wegen der Unruhen gebunden seien. „Wir konnten die Sicherheit der Fans nicht garantieren“, gab Englands Verbandschef David Bernstein zu.
Auf die Badminton-Einzel-WM in der Londoner Wembley Arena haben die Krawalle bislang keinen negativen Einfluss. „Aus unserer Sicht läuft hier alles normal. Die Krawalle sind weit entfernt, aber wir beobachten die Situation natürlich“, berichtete Martin Kranitz, Sportdirektor des Deutschen Badminton-Verbandes (DBV). Jörg Ziegler, Generalsekretär des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV), war vor dem Testturnier der Beach-Volleyballerinnen in unmittelbarer Nähe zum Trafalgar Square auch ohne deutsche Beteiligung weniger gelassen: „Wir nehmen das besorgt zur Kenntnis. Wir hoffen, dass für das Test-Turnier entsprechende Vorsorge getroffen worden ist.“
Das Thema Sicherheit sollte am Dienstag auch bei der seit langem anberaumten Besprechung zwischen Vertretern des lokalen Organisationskomitees LOCOG und Spitzenfunktionären des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) eine zentrale Rolle spielen. „Sicherheit ist unsere oberste Priorität, aber sie ist nicht unsere direkte Verantwortung. Darum kümmern sich die Behörden in London, in die wir volles Vertrauen haben“, sagte IOC-Sprecher Mark Adams. Jugendgangs und andere Gewalttäter hatten in der britischen Hauptstadt in der dritten Nacht in Folge Häuser und Autos angezündet. Inzwischen gingen auch in Liverpool, Birmingham und Bristol vermummte Randalierer auf die Straßen.
„Bringt die Armee. Wie zum Teufel soll denn die Polizei mit all dem klar kommen“, schimpfte die britische Siebenkämpferin Kelly Sotherton, Olympia-Dritte von 2004. Fast 700 Millionen Euro hat LOCOG im Gesamtetat für den Posten Sicherheit veranschlagt. Coe hatte immer damit geprahlt, dass die britische Polizei bekannt dafür sei, bei Vorfällen „freundlich und diskret“ einzugreifen. Aber nach den besorgniserregenden Zwischenfällen nicht nur in Londoner Problemvierteln kommt das Sicherheitskonzept noch einmal auf den Prüfstand.
„Die Pläne werden bis zum Beginn der Spiele regelmäßig mit den Polizeibehörden und dem Innenministerium untersucht“, räumte LOCOG-Sprecherin Joanna Manning-Cooper kleinlaut ein. Das derzeitige Führungsvakuum bei Scotland Yard nach dem Rücktritt von Boss Paul Stephenson, der über die Murdoch-Affäre gestolpert war, hat LOCOG bis heute nicht thematisiert.
Dafür bekam das OK Unterstützung vom Nationalen Olympischen Komitee Großbritanniens (BOA). „Zweifellos wollen wir solche Bilder ein Jahr vor den Spielen nicht sehen, aber wir haben großes Vertrauen in den entwickelten Sicherheitsplan, der während der Spiele greifen wird“, hieß es in einer BOA-Stellungnahme. Und: „Diese Zwischenfälle sind unglücklich, unangenehm und nicht akzeptabel, aber sie werden keine Auswirkungen auf die Vorbereitungen der Spiele haben.“