BVB spielte unter Schock Marcel Schmelzer: „Wir Spieler sind Puppen“
Trainer und Spieler wurden die Bilder und den Schrecken des Vortages nicht los.
Dortmund. Manchmal dauert es Tage oder sogar Wochen, ehe Menschen die ganze Tragweite unvorhersehbarer Ereignisse erfassen, die ihr ganzes Leben auf schreckliche Weise hätten verändern können. Erst kommt der Schock. Dann Starre. Später Angst, die mitunter sehr, sehr lange bleibt. Ganz am Anfang dieses immens schwierigen Verarbeitungsprozesses mussten die Fußballer von Borussia Dortmund am Mittwochabend schon wieder zur Arbeit. Nicht einmal 24 Stunden nach dem unfassbaren Nagelbomben-Attentat.
Spätschicht in der Champions League, der BVB verlor das Viertelfinal-Hinspiel gegen AS Monaco 2:3 (0:2). Die Partie hätte auch unentschieden enden können, doch das Ergebnis interessierte an diesem Abend nur peripher. Trainer und Spieler wurden die Bilder und den Schrecken des Vortages nicht los. Kapitän Marcel Schmelzer sprach aus, was alle beschäftigte: „Das war kein Anschlag auf den Bus, das war ein Anschlag auf uns Menschen.“
Die Uefa hätte dies auch erkennen müssen. Doch in diesem Zirkel Empathie freier Theoretiker hatte niemand die Courage, den Fehler, die Partie eiligst nachzuspielen, zu korrigieren. Dass sich die BVB-Bosse irgendwie an die Seite des Gremiums stellten, dem Termin der Neuansetzung ohne erkennbaren Widerspruch zustimmten und ihn in Person von Hans-Joachim Watzke („Wir müssen der Gesellschaft zeigen, dass wir vor dem Terror nicht einknicken.“) schlussendlich sogar begrüßten, ist so wenig nachvollziehbar wie die unerträgliche Marionetten-Politik des Verbandes. Als wäre es ein anderes Zeichen gewesen, einen für die unmittelbar Betroffenen geeigneteren Termin zu suchen und zu finden. „Wir Spieler sind Puppen“, hat Schmelzer am Mittwoch gesagt. Abwehrchef Sokratis, diese Fleisch gewordene griechische Säule, wählte noch schärfere Töne: „Wir sind behandelt worden wie Tiere.“
Es gehört zum Leben, über wichtige Entscheidungen mindestens eine Nacht zu schlafen. Dieser Verantwortung ist im aktuellen Fall niemand gerecht geworden. „Ich habe von Dienstag auf Mittwoch keine Minute geschlafen“, teilte BVB-Torhüter Roman Bürki nach dem Spiel mit. Nuri Sahin, der zur Halbzeit in die Partie kam, sagte: „Vor meiner Einwechslung habe ich keinen Moment an Fußball gedacht.“ Und Matthias Ginter erklärte: „Ich bin froh, dass es vorbei ist.“
Vorbei? Das Spiel, ja. Aber das Kopf-Kino, die Erinnerung an den Anschlag wird lange als Dauerschleife bleiben. „Zeit ist jetzt wichtig, um einen Umgang mit dieser Ausnahmesituation zu finden“, sagte Trainer Tuchel, „keiner weiß, wie lange so etwas dauert.“ Vielleicht sehr lange, weil niemand den Spielern die Zeit gibt, die sie brauchen. Am Samstag ist Bundesliga, nächsten Mittwoch schon wieder Champions League. Tuchel: „Es gibt Termine, wir haben zu funktionieren.“
Im Hinspiel gegen Monaco klappte das in der zweiten Halbzeit. Mitgerissen vom fantastischen Publikum spielte der BVB zeitweilig, als habe es kein Gestern gegeben. „Mentalität und Spirit waren großartig, die Mannschaft hat unglaublichen Charakter gezeigt“, meinte Tuchel. Nationalspieler Julian Weigl hatte eine simple Erklärung für den bemerkenswerten Leistungsaufschwung: „Wir haben die Köpfe ausgeschaltet.“ Das wird nicht immer gehen.