Michael Schades Fußball-Vermächtnis
Der ehemalige Geschäftsführer von Bayer 04 Leverkusen wird heute verabschiedet. Der Solinger geht zufrieden — und mit einigen Ratschlägen.
Solingen/Düsseldorf. Am Revers steckt die Vereinsnadel von Bayer 04 Leverkusen, Michael Schade trägt sie mit Stolz. Und es würde erstaunen, sollte sich das in der nächsten Zeit ändern. Schade bleibt dem Zirkus ja treu, fünf Jahre als Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten sind zwar seit Mitte Mai dieses Jahres vorbei — neuer Sprecher der Geschäftsführung ist der Spanier Fernando Carro de Prada (53) —, aber dann geht es ja weiter: Schade rückt in den Gesellschafterausschuss von Bayer Leverkusen auf, dem er schon einmal seit 2006 angehörte. Heute wird er im Club gebührend und offiziell verabschiedet.
„Hoffentlich ein bisschen gelassener, ohne den ganz großen Druck“ will er künftig auf der Tribüne sitzen, was in Mönchengladbach beim 0:2 zum Ligaauftakt natürlich nicht funktioniert hat, aber damit war auch nicht zu rechnen. Die „schönste Nebensache der Welt“, wie er sagt, ist natürlich keine. Sagt er ja selbst: „Sport hat eine unheimliche Bedeutung in dieser Republik, er ist Esperanto der Massen.“
Schade kennt das, kann vergleichen, hat das gefühlt, seit er Wolfgang Holzhäuser als Geschäftsführer beerbt hat. In seinem früheren Leben war der heute 65-Jährige Kommunikationschef beim weltweit agierenden Bayer-Konzern. Er sagt: „Wenn wir im Bayer-Konzern etwas getan haben, dann war das bedeutsam, jeder Nebensatz konnte den Aktienkurs nach oben oder unten treiben. Aber: Es wurde in der Wahrnehmung nicht so gesehen. Der Sport ist eigentlich nicht so bedeutend. Aber alles, was da passiert, passiert auf den vorderen Seiten der Zeitungen, und die Fotos sind größer. Das hat einen ganz anderen Stellenwert.“ Aussagen, die den Fußball-Hype in dieser Republik ganz gut enttarnen.
Wie emotional der Job sein würde, hat der überzeugte Solinger Schade, zweifacher Vater von erwachsenen Kindern, nicht erwartet. „Achterbahnfahrt im Dreitagesrhythmus“ nennt er das. Mit Momenten der Tatenlosigkeit auf der Tribüne, dem Schicksal ergeben. Und immer mit dem Druck, jederzeit Entscheidungen treffen zu müssen. Alles hängt am Ergebnis. „Trotzdem möchte ich davon keine Minute missen“, sagt er und erzählt eine Geschichte: Beim Antrittsbesuch vor fünf Jahren habe ihm ein DFL-Mann gesagt. „,Herr Schade, sie werden den Fußball lieben — wenn nur die Spiele nicht wären.’ Heute verstehe ich, was er meinte.“
Bayer-Aufsichtsratschef Werner Wenning sagt: „Unter der Führung von Michael Schade hat sich Bayer 04 sehr gut entwickelt. Die Mannschaft spielte viermal in der Champions League, alle organisatorischen und wirtschaftlichen Ziele wurden voll erfüllt.“ Schade freut diese Wertschätzung. Er hat viel angestoßen und erreicht. Mehr als 29 000 Fans kommen inzwischen im Schnitt in die BayArena, der Biergarten und die Nordkurve sind ausgebaut, es gibt die „Schwatbud“ als Fantreff, W-Lan im Stadion, Spielertunnel und Katakomben sind neu gestaltet. Und der Transferwert der Mannschaft hat sich neben allem sportlichen Erfolg exorbitant gesteigert. Mit einigen echten Trümpfen in der strategischen Ausrichtung: Zum Beispiel jenem, dass für junge Spieler viel Geld ausgegeben wird, wenn es Sinn hat. „Sie müssen sofort helfen, Perspektive haben und irgendwann einen erheblichen Transfergewinn erzielen. Das Geld stecken wir dann wieder in den Anfang des Kreislaufs“, erzählt Schade, der fünf Trainer und das Phantomtor von Hoffenheim erlebt hat, der Emir Spahic entlassen musste, als der bosnische Abwehrspieler sich mit den eigenen Ordnern prügelte, und der den Trainer Sami Hyypiä entließ, obwohl Geschäftsführer und Trainer eine Bindung verspürten. „Ihm das zu sagen, das war mein härtester Job“, sagt Schade noch heute.
Der Wahnsinn Fußball. „Es hat sich speziell in der Zeit, die ich überblicke, extrem gewandelt“, sagt Schade. Alles noch größer, mehr Geld, mehr Druck. Schneller, höher, weiter. „Irgendwann wird die Blase platzen“, glaubt er. Und blickt auf den American Football in den USA: Gehälter deckeln, am Ende einer Saison kommen alle ausgelaufenen Verträge auf einen Tisch — und dann greifen die Vereine in umgekehrter Reihenfolge der Tabelle zu. So ist Spannung garantiert, ständig wechselt der Meister. Und ein Modell für den deutschen Fußball? „Das funktioniert nicht im europäischen Vergleich“, sagt er.
Schade empfiehlt für die Zukunft, „keine Setzlisten“ in der Champions League, ein Financial Fairplay, das „auch durchgezogen wird, wenn es das schon gibt“. Und eine dringende Reglementierung des Einflusses von Spielerberatern. „Die spielen die Vereine gegeneinander aus und treiben die Summen hoch.“
Natürlich hat es auch einen Tiefpunkt gegeben. Als es vor zwei Jahren sportlich nicht lief, wurde Schade zum Zielobjekt einiger Fans. Es ging um Sanktionen und Stadionverbote, die „wir als Verein gar nicht zu verantworten hatten“. Schade wurde aber verantwortlich gemacht. „Das muss man auch ertragen können. Die Wahrheit ist, dass es eine Kettenreaktion war, die nicht mehr aufzuhalten war.“
Er legt das jetzt ab, die guten Zeiten überwiegen. Der Stolz, aus den jährlichen 25 Millionen Euro Zuwendungen aus dem Bayer-Konzern viel und noch viel mehr gemacht zu haben. Schade war mittendrin statt nur dabei. Und immer auch Fan. „Wenn Sie auf der Zielgeraden ihres beruflichen Werdegangs für eine Aufgabe angefragt werden, mit der sie ihren Traum erfüllen können, dann konnte ich zumindest nicht nein sagen“, erzählt er. „Und dafür bin ich mir auch heute noch dankbar.“