„Tyrann“ Vettel auf Rekord-Beutezug
Greater Noida (dpa) - Der schier unaufhaltsame Beutezug des „Tyrannen“ Sebastian Vettel lässt die Formel 1 vor einer Übermacht ohne Ende zittern. „Unheimlich, sich vorzustellen, was aus dieser Karriere noch alles werden kann“, kommentierte treffend das russische Blatt „Kommersant“.
Nicht mal Vettel selbst hat eine genaue Ahnung davon, was er bereits mit 26 Jahren und 116 Tagen als jüngster Vierfach-Champion geleistet hat: „Ich bin viel zu jung, um zu verstehen, was das bedeutet.“
Schon am Sonntag in Abu Dhabi kann der Zimmermannssohn aus dem hessischen Heppenheim einen weiteren Rekord von Kumpel Michael Schumacher mit sieben Siegen in Serie in einer Saison einstellen. Dass er auch die sieben Titel des Kerpeners, die eigentlich als in Stein gemeißelt galten, irgendwann pulverisiert, wäre auch keine Überraschung mehr.
„Jede Zeit hat ihren eigenen außergewöhnlichen Fahrer, und Sebastians Leistungen sind derzeit zweifellos herausragend“, sagte Schumacher jüngst der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. Aber Vergleiche würden hinken, meinte Schumacher. „Viele glauben, dass Ayrton (Senna) der Beste der Geschichte war. Andere wiederum halten Michael für den Größten“, befand Vettels abermals bitter geschlagener Dauerrivale Fernando Alonso. Es werde immer viele verschiedene Meinungen geben, meinte der Ferrari-Pilot.
Die Meinungen der internationalen Medien waren indes einhellig. „Das Imperium von Sebastian: Er wird zur Legende mit seinem vierten Titel. Mit 26 Jahren gehört zu den Mythen des Rennsports“, schrieb die italienische Zeitung „La Stampa“. Die Kollegen von „La Repubblica“ ernannten den Red-Bull-Star kurzerhand zum „Kaiser Seb“. 6,26 Millionen RTL-Zuschauer verfolgten am Sonntag die Zieldurchfahrt des unbestrittenen Formel-1-Herrschers.
Er ist aber ein volksnaher Regent. Als es am Sonntagabend nach mehr als einem Schluck aus der Magnum-Flasche Schampus ans Aufräumen ging, packte Vettel mit an. „Er hat ein fantastisches Arbeitsethos“, betonte sein Teamchef Christian Horner. Vettel hinterfrage sich ständig und inspiriere die Leute um ihn herum. „Man hat den Eindruck, dass er jedes Mal mit etwas mehr Wissen ins Auto steigt als beim letzten Mal“, sagte Red-Bull-Chefdesigner Adrian Newey. Vettel ist in dieser Hinsicht einer wie Schumacher, der damals aus dem lahmenden Ferrari-Pferdchen einen Rekordsieger machte.
Vettel verlangt von sich alles für den Erfolg, er fordert es aber genauso von seinem Team ein. Er dankt es seinen Jungs mit Umarmungen für jeden Einzelnen und lädt seine Mannschaft nicht selten zum Essen ein. „Ich bin dafür sehr dankbar, was diese Jungs machen. Wenn man am Ende des Monats auf deren Lohnzettel schaut, wäre man verblüfft, so viele Stunden abzuleisten wie sie es tun“, erklärte Vettel, der sich im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten in der Nacht auf Montag Richtung Schweiz aufmachte, um wenigstens ein paar Stunden den Erfolg auch im privaten Kreis mit Freundin Hanna zu genießen.
Der Konkurrenz indes bleibt keine Zeit zum Durchatmen, wenn sie Vettel davon abhalten will, im kommenden Jahr tatsächlich wie Schumacher fünf Titel in Serie mit dem gleichen Team zu gewinnen. „Ferrari, McLaren, Mercedes und Lotus sehen 2014 ihre Chancen und werden sich gegen uns stemmen“, prophezeite Red-Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz in einem Interview der „Salzburger Nachrichten“.
Von der überragenden technischen Grundlage nehme das Red-Bull-Team „vielleicht 50 Prozent plus/minus ein paar weitere in die nächste Saison mit. Klar, der Rest kann 2014 auch schiefgehen, das muss man aufgrund der neuen Situation einkalkulieren“, meinte Mateschitz mit Blick auf die tiefgreifendste Technikreform der Formel 1 seit vielen Jahren. Zur nächsten Saison kehren die Turbomotoren zurück, hinzu kommen auch große aerodynamische Veränderungen.
Vettel wird hingegen auch dann seiner Devise treubleiben. Der „Tyrann“, wie er auf der Homepage der „Gazzetta dello Sport“ genannt wurde, wird den Blick von der ersten Testrunde an wieder nur aufs eigene Team mit dem neuen Kollegen Daniel Ricciardo richten. Mit welcher Konstanz und Konsequenz Vettel seinen Weg geht, erstaunt selbst Red-Bull-Boss Mateschitz. „Die Kontinuität seiner Leistung, die andauernde Höchstgeschwindigkeit, die er über eine Renndistanz halten kann, das wird schon schwer zu überbieten sein“, kommentierte der Österreicher: „Da kommt drüber kaum etwas.“