Motorrad-Piloten gehen über Grenzen hinaus
Hohenstein-Ernstthal (dpa) - Ihre Gesichter sind oft bubihaft, die Statur schmächtig. Doch Motorrad-Piloten wie Jorge Lorenzo, Valentino Rossi und Stefan Bradl sind vor allem eines: harte Kerle, die ans Limit gehen und darüber hinaus - insbesondere was die eigene Schmerzgrenze angeht.
Eindrucksvoll war das erneut zu sehen beim Deutschland-Grand-Prix, wo binnen zwei Tagen im Training über 30 Stürze gezählt wurden.
„Ein Weichei darf man nicht sein, und ein bisschen verrückt muss man wohl auch sein“, sagte Moto3-Pilot Jonas Folger angesprochen auf die Schmerztoleranz der Asphalt-Cowboys. Für Moto3-Weltmeister Sandro Cortese ist Motorradsport eine der härtesten Sportarten überhaupt. „Fußballer würden vielleicht ein halbes Jahr ausfallen, und wir fahren nach Verletzungen ein paar Tage später wieder. Man muss schon aus besonderem Holz geschnitzt sein, um das zu tun“, meinte der in die Moto2 aufgerückte Italo-Schwabe.
Die Piloten ignorieren gebrochene Fuß- und Handgelenke, manch einer ließ sich auch schon auf seine Maschine hieven und gar festschnallen - denn sie alle wollen fahren und das um jeden Preis. Für Außenstehende sind Fälle wie der zuletzt von Jorge Lorenzo kaum nachvollziehbar: Der Spanier bricht sich nach einem spektakulären Sturz bei Tempo 230 das Schlüsselbein, lässt sich kurz darauf operieren und steigt nur 35 Stunden nach dem Eingriff auf eine MotoGP-Maschine, um beim WM-Rennen von Assen Fünfter zu werden.
„Das würde ich nicht zur Nachahmung empfehlen, und das sollten sich andere Fahrer nicht als Beispiel nehmen. Ich würde es wohl auch nicht wieder tun“, bekannte der MotoGP-Weltmeister. Dank Schmerzmitteln und mentaler Stärke hielt er in Assen durch und verlor nur zwei Punkte auf WM-Spitzenreiter Dani Pedrosa.
Doch auf dem Sachsenring erhielt er vielleicht auch angesichts dieser Wahnsinnsaktion die Quittung. Lorenzo stürzte erneut, die Titanplatte in seiner lädierten Schulter verschob sich. Diesmal siegte aber die Vernunft, Lorenzo reiste ab und unterzog sich am Samstag einer erneuten Operation.
Vor allem in der MotoGP-Klasse sind die Rennen ein wahrer Höllenritt auf zweirädrigen Raketen. Die Maschinen haben 1000 Kubikzentimeter und rund 250 PS, beschleunigen in nicht mal drei Sekunden von null auf Tempo 100, Höchstgeschwindigkeit 350 Kilometer pro Stunde. „Die Maschinen sind eigentlich nicht für den Menschen gemacht“, hatte Bradl nach seiner ersten Fahrt auf einem MotoGP-Gefährt gesagt.
Angesichts der eindrucksvollen Technikdaten scheint es fraglich, ob es vertretbar ist, Piloten mit gravierenden Verletzungen starten zu lassen. Haben sie ihre Maschinen nicht unter Kontrolle, gefährden sie sich und ihre Gegner. „Das gehört in unserem Sport dazu“, meinte der frühere WM-Fahrer und Sport1-Fernsehexperte Alexander Hofmann. Aber: „Der Schmerz darf den Fahrer nicht behindern, seine Reaktionen nicht einschränken. Wenn er sich oder andere gefährdet, darf er nicht fahren. Aber die Jungs sind vernünftig.“
Für Cal Crutchlow, der auf dem Sachsenring gleich zweimal abflog und sich massive Hautabschürfungen zuzog („Ich fühle mich elend, mein Arm ist so geschwollen, dass ich kaum in den Rennanzug komme“), könnte das Vorgehen bei Lorenzo ein „gefährlicher Präzedenzfall“ sein. „Jorge hat die Messlatte gesetzt. Wenn die Ärzte ihn fahren lassen, was kommt dann als nächstes?“, mahnte der Brite.