UCI schützte Armstrong - Dopingsünder sagt „Sorry“
Aigle (dpa) - Das dunkelste Kapitel im Radsport ist auf 227 Seiten dokumentiert und lässt nur einen Schluss zu: Der zweifelhafte Aufstieg von Lance Armstrong zum millionenschweren Weltstar war nur durch die dubiosen Machenschaften des Weltverbandes UCI möglich.
Wie aus dem am Montag veröffentlichten Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission hervorgeht, wurde der inzwischen lebenslang gesperrte Hochleistungsdoper Armstrong von den umstrittenen Ex-Präsidenten Hein Verbruggen und Pat McQuaid „beschützt“ und „verteidigt“. Die Liste der Anschuldigungen reicht von gravierenden Verstößen gegen das eigene Reglement, bevorzugte Behandlung seiner Stars, Klüngelei sowie möglicher Vetternwirtschaft und Korruption.
Der Bericht befasste sich aber nicht nur mit Betrügereien vergangener Tage, sondern auch mit der Gegenwart - und hielt alarmierende Erkenntnisse bereit. Die Befragung von 174 Zeugen habe auch ergeben, dass gesperrte Dopingärzte wie Eufemiano Fuentes oder Michele Ferrari immer noch ihr Unwesen treiben sollen. Doping bleibe im Radsport ein „endemisches Problem auf niedrigerem Niveau“, sagte der heutige UCI-Präsident Brian Cookson: „Wir werden aber nicht länger beim Thema Doping auf einem Auge blind sein und den Leuten helfen, Doping zu vertuschen.“
Das war gemäß den Erkenntnissen des Berichts unter seinen Vorgängern Verbruggen und McQuaid anders. Die UCI war jahrelang Mitwisser, womöglich auch Mittäter. Dass Dopingproben aktiv durch die UCI vertuscht wurden, konnte nicht vollumfänglich belegt werden, wohl aber fragwürdige als Spenden deklarierte Geldzahlungen Armstrongs in Höhe von 125 000 Dollar an die UCI. Der inzwischen geständige Armstrong nutzte am Montag die Gelegenheit, um „Sorry“ zu sagen. McQuaid ist sich dagegen immer noch keiner Schuld bewusst. „Der Report spricht mich von irgendwelchem Fehlverhalten, von Korruption oder Komplizenschaft frei“, behauptete der Ire.
Es bedarf aber keiner großen Fantasie für die Erkenntnis, dass die UCI in der Armstrong-Ära und wohl auch danach eine unrühmliche Rolle eingenommen hat. „Die UCI befreite Lance Armstrong von Regeln, verpasste es, ihn trotz Verdächtigungen gezielt zu testen und unterstützte ihn öffentlich gegen Dopinganschuldigungen“, analysierte die Kommission, die von der neuen Führung der UCI im Januar 2014 eingesetzt worden war. Armstrong war erst 2012 nach dem Ende seiner Karriere wegen langjährigen Dopings lebenslang gesperrt worden. Außerdem wurden ihm nahezu alle Erfolge aberkannt, darunter die sieben Siege bei der Tour de France.
Den Einsturz des Denkmals Armstrong hatte die UCI lange zu verhindern versucht. Für den Wirtschaftsfachmann und Marketingexperten Verbruggen, der die UCI quasi als Alleinherrscher führte, war der geheilte Krebspatient Armstrong „die perfekte Wahl, um der Sportart zu einer Renaissance zu verhelfen. Die Tatsache, dass er Amerikaner war, öffnete dem Sport die Tür zu einem neuen Kontinent“, hieß es in dem Bericht.
Und dieses Denkmal durfte nicht beschädigt werden. 1999 wurde bei Armstrong nach einer positiven Probe auf Kortison entgegen des Reglements ähnlich wie bei Laurent Brochard bei dessen WM-Titel 1997 ein nachträgliches Attest zugelassen. 2001 waren bei Armstrong während der Tour de Suisse Proben als „verdächtig“ hinsichtlich EPO-Dopings festgestellt worden. Die UCI hatte auf weitere Untersuchungen verzichtet und stattdessen Spenden von Armstrong akzeptiert, was die Kommission als „unklug“ wertete.
Auch bei den Enthüllungen der französischen Sportzeitung „L'Equipe“ über Armstrong-Proben, bei denen im Zuge von Nachtests EPO festgestellt worden war, habe die UCI eine fragwürdige Haltung eingenommen. Gleiches galt auch für das Comeback des Texaners. Obwohl Armstrong nicht sechs Monate lang dem Testpool angehörte, durfte er auf Anweisung von McQuaid bei der Tour Down Under starten. Womöglich ein Kuhhandel, denn Armstrong erklärte sich anschließend dazu bereit, bei der Tour of Ireland zu starten. Eine unbedeutende Rundfahrt, die von Pat McQuaids Bruder Darach mitorganisiert wurde.
Kritisch sieht die Kommission auch den Fall Contador. Der zweimalige Tour-de-France-Sieger aus Spanien sei ebenfalls in den Genuss einer bevorzugten Behandlung gekommen. Demnach wurde der Spanier von dem positiven Dopingtest auf Clenbuterol persönlich in seinem Heimatland bei einem Treffen mit drei UCI-Funktionären informiert. Kontaminiertes Fleisch wurde als mögliche Ursache erörtert.
Mehrere Befragte hätten die Vorgehensweise der UCI als „seltsam“ empfunden. „Die CIRC hat kein Beispiel gefunden, in dem diese Vorgehensweise auch bei anderen Fahrern angewendet wurde“, hieß es in dem Bericht. Bei Contador waren während der Tour 2010 geringe Spuren von Clenbuterol in einer Probe entdeckt worden. Der Spanier wurde von seinem Heimatverband zunächst freigesprochen. Dieses Urteil wurde vom Internationalen Sportgerichtshof CAS in eine zweijährige Sperre umgewandelt.
Für den heutigen Radsport sieht die CIRC noch Probleme: „Der Kampf gegen Doping ist noch lange nicht gewonnen.“ Laut den zahlreichen Gesprächen der CIRC seien viele Fahrer der Ansicht, dass Doping auch heute noch „weit verbreitet ist“. Ein Fahrer glaubte gar, dass 90 Prozent des Pelotons heute noch dopen würden.