Spitzensportler gründen eigene Interessenvertretung — Funktionäre hätten das am liebsten verhindert
Es kommt einem kleinen Aufstand der Spitzensportler gleich und ist weltweit wohl bisher einmalig, was am vergangenen Wochenende in Köln passiert ist. Die Spitzensportler machen sich vom Deutschen Olympischen Sportbund unabhängig. Dort wird das gar nicht gerne gesehen.
Köln. Die deutschen Spitzensportler haben am vergangenen Wochenende (15.10.2017) in Köln in ihrer Vollversammlung eine eigene Interessenvertretung gegründet. Der unabhängige Verein "Athleten Deutschland” will die Interessen der Spitzensportler vertreten, ihnen mehr Gehör verschaffen und deutlich mehr Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Die Funktionäre des Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) hätten das am liebsten verhindert. Die Bereitschaft, mit dem neuen Verein zusammenzuarbeiten scheint gering.
Für die Spitzensportler war dieser Schritt schon längst überfällig. Zwar gibt es eine sechsköpfige Athletenkommission innerhalb des Deutschen Olympischen Sportbundes, die ehrenamtlich arbeitet, aber offensichtlich empfinden die Sportler die Kommission als wirkungsloses Instrument. Die Kommission wird vom DOSB finanziert und ist somit vom Dachverband abhängig. Von den Führungskräften des Verbandes fühlen die Athleten sich schon lange nicht mehr ernst genommen. „Es ist an der Zeit, dass die Verbände akzeptieren, dass die Athleten ein valider Gesprächspartner auf Augenhöhe sind und nicht nur ein Feigenblatt in einer Satzung”, sagt Silke Kassner, stellvertretende Athletensprecherin und WM-Teilnehmerin im Wildwasserrennsport
Mit dem neu gegründeten Verein soll sich das nun ändern. „Die Organisation soll Aufgaben übernehmen, die zum Teil gewerkschaftliche Züge haben”, erklärt Max Hartung, Europameister im Säbelfechten und Athletenvertreter im Deutschen Olympischen Sportbund, dem WDR in einem Interview, „wir glauben, dass die Stimme der Athleten eigenständig formuliert sein sollte und das wir mit einer eigene Organisation die Möglichkeit haben, die Stimme der Athleten unabhängig zu formulieren. Wir wollen, dass sich die Athleten selber vertreten können”. Die Finanzierung wird extern erfolgen. Die Politik hat jährlich 300.000 bis 400.000 Euro in Aussicht gestellt.
Den Athleten geht es unter anderem auch um die Sportlerförderung. Die Athleten sollen sich ohne finanzielle Sorgen und Nöte auf ihren Leistungssport konzentrieren können. Bisher ist das nicht der Fall. Athleten sind alles andere als finanziell abgesichert. Leistungen werden aber trotzdem erwartet. Vor jedem internationalen Großereignis wie Olympia oder Weltmeisterschaften werden Zielvereinbarungen formuliert, die hoch gesteckt sind. Die Medaillenziele werden dann weit verfehlt und die Sportlerförderung zur Diskussion gestellt. So waren 2012 in London 86 Medaillen angestrebt worden, davon 28 Gold, herausgekommen sind 38 Medaillen, mit 10 x mal Gold. Weniger Medaillen heißt auch weniger Geld. Ein Teufelskreis, den die Sportfunktionäre nicht erkennen (wollen).
Verletzen sich Athleten und fallen für eine Saison aus, fallen sie aus dem Kader und verlieren somit ihre finanzielle Unterstützung. Das Risiko trägt immer der Athlet. So erging es der Leichtathletin Corinna Harrer. Bei der Team-Europameisterschaft im Juni 2015 erleidet die 1500-Meter-Läuferin einen Achillessehenabriss. Eine russische Läuferin war ihr in die Hacken getreten. Humpelnd kommt Harrer ins Ziel, erkämpft noch wichtige Punkte für die Mannschaft. Es folgt eine lange und mühselige Zeit der Genesung. Der Verband unterstützte sie nicht bei den Kosten für die Reha und die Krankenkasse sah sich auch nicht zuständig, da die Verletzung als Arbeitsunfall eingestuft wurde. Da sie für das Nationalteam an den Start damals gegangen war, war sie auch nicht über den Verein LG Telis Finanz Regensburg versichert. Die Versicherung ist nur wirksam, wenn sie auch im Trikot des Vereins läuft. Von der Sporthilfe bekam sie immerhin eine Einmalzahlung in Höhe von 1000 Euro. Den Rest der Kosten für ihre Gesundung in Höhe von 10.000 Euro musste sie privat gezahlt.
Corinna Harrer hat sich inzwischen zurückgekämpft, wurde zuletzt Anfang September Dritte bei den Deutschen Straßenlauf-Meisterschaften über 10 Kilometer in 33:48 Minuten. Demnächst stehen zwei Trainingslager in Portugal und Italien an. Geld sammelt Harrer dafür auf der Crowdfunding-Plattform leetchi.com. Denn obwohl sie inzwischen wieder zu den besten deutschen Läuferinnen gehört, ist sie aus dem Kader gefallen auf Grund ihrer Verletzung und den damit nicht erbrachten Leistungen im Jahr 2016.
Zwar sind die Sportler in Gremien vertreten, aber das in so geringer Anzahl, dass ihre Stimme kein Gewicht hat. Beschlüsse werden oft am Athleten vorbei gemacht. So diktiert nach den neusten Beschlüssen der Verband, wo die Spitzensportler trainieren sollen ohne Rücksichtnahme auf das familiäre und berufliche Umfeld. Mitspracherecht haben die Athleten nicht. Folgen die Sportler nicht den Vorgaben, wird die Sportlerförderung gestrichen. Bei oft 150 Stunden Training im Monat ist diese aber notwendig, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Es gibt nur ganz wenige Athleten, die Vollzeit arbeiten und ein Hochleistungs-Training bewältigen und zudem die geforderten Leistungen erbringen können.
Eigentlicher Anlass zur Gründung des Vereins aber waren die Enthüllungen um das russische Staatsdoping 2014. Bei der Entscheidung, ob russische Sportler bei Olympia 2016 antreten dürfen, wollten die Sportler mitreden, erklärt Hartung dem WDR. Es habe die Werte des Sports, unsere Werte betroffen, sagt er.
Das neue emanzipatorische Gebaren der Sportler gefällt den Funktionären nicht. Ihre Schützlinge machen sich von der kurzen Leine los. Dass hätte der Dachverband am liebsten verhindert. So haben der Präsident des Verbandes, Alfred Hörmann, und der Vorstandsvorsitzende Michael Vesper sich in einem Brief an die deutschen Spitzenfunktionären der Verbände gewandt und die Gründung des Vereins in Frage gestellt. „Wofür braucht es den Verein überhaupt. Sportler würden auf Augenhöhe ernstgenommen.“, heißt es in dem Schreiben, das dem Deutschlandfunk vorliegt. Das Thema Geld wird in dem Brief auch angesprochen. Über die jährlichen Kosten in Höhe von 300.000-400.000 Euro heißt es: „Wir haben keine Informationen darüber, aus welchen Mitteln diese Kosten finanziert und wofür sie verwendet werden sollen und ob diese gegebenenfalls andere Bereiche des Sports negativ tangieren würden.“ Damit erwecken die Funktionäre den Eindruck, das Geld wird den Verbänden abgezogen, um den Verein zu finanzieren. Das ist aber, soweit bekannt, nicht der Fall.
Der DOSB macht in dem Schreiben seine Haltung zu dem erstarkten Selbstbewusstsein der Athleten deutlich: Wenn der Verein innerhalb der DOSB-Strukturen bleibe, dann sehe der DOSB das Vorhaben neutral, sollte eine Auslagerung in eine neue Struktur stattfinden „müssten wir uns aus formellen Satzungsgründen dagegen positionieren”.
DOSB-Vorstandsvorsitzende Michael Vesper kritisiert, dass mit der Gründung des Vereins eine Parallelstruktur geschaffen werde. Tatsächlich wird die Athletenkommission nicht aufgelöst. Nach der Vereinsgründung sagte Vesper: „Wir haben eine aus unserer Sicht funktionierende Athletenvertretung. Für uns ist die Athletenkommission, die satzungsgemäß für den DOSB entscheidend ist, unser Ansprechpartner.” Das klingt nicht nach Zusammenarbeit und Gesprächsbereitschaft.
Die deutsche Sporthilfe sagte dagegen ihre volle Unterstützung zu und auch Andrea Gotzmann von der Nationalen Anti-Doping Agentur NADA äußert sich positiv zur Vereinsgründung: „Die Athleten und Athletinnen stehen im Mittelpunkt des Sportgeschehens. Ihre Rechte müssen beachtet werden. Ich halte das für einen zielführenden Schritt in die Zukunft.”
Corinna Harrer hat für die Haltung des DOSB kein Verständnis: „Allein die Aussage, wir haben bereits eine gut funktionierende Athletenvertretung lässt uns doch schmunzeln…”, schreibt sie auf ihrer Facebook-Seite und weiter sagt sie: „Ich finde es nicht klug, dass der DOSB gleich in die Abwehrhaltung gegangen ist. Ich hoffe durch die Vereinsgründung auf mehr Gerechtigkeit im Sport.”
Der DOSB hat sich mit seiner Haltung isoliert. Er fürchtet um seinen Einfluss. Internationale Athletenkommissionen haben diesen Schritt in Deutschland mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Die Gründung ist ein deutliches Signal an die Sportfunktionäre: Die Athleten sind die Akteure bei Sportveranstaltungen, nicht die Funktionäre.