Leidensweg Tour de France Sportwissenschaftler Froböse: „Tour ist größte körperliche Belastung, die man sich vorstellen kann"
Sportwissenschaftler Froböse über die Strapazen der Profis bei der Frankreich-Rundfahrt. Seiner Meinung nach, ist dem Leistungssport die Vernunft bei körperlichen Aktivitäten entglitten.
Düsseldorf. Der Kölner Sportwissenschaftler Ingo Froböse stellt eine einfache These auf: „Derjenige gewinnt die Tour de France, der am spätesten schlecht wird.“ Denn „schlecht“ werde bei drei Wochen Höchstbelastung irgendwann jeder im Fahrerfeld: „Die Leistung, die gefordert ist, kann man nicht konstant über drei Wochen halten.“
Je schwerer ein Fahrer ist, desto schwieriger wird es zu gewinnen. Denn Tour de France bedeutet für die Profifahrer: Jeden Tag zwischen 8000 und 10 000 Kilokalorien verbrennen, die auch irgendwie wieder reingefuttert werden müssen. Bei heißen und langen Etappen einen Flüssigkeitsverlust von 14 Litern ausgleichen. Und nebenher mit einem Durchschnittstempo von 38 Stundenkilometern (Schnitt der Tour im Jahr 2016) unterwegs sein — bei bis zu 4600 Höhenmetern, die es zu bewältigen gelte. Im Sprint fahren die Rennradler locker 70 Stundenkilometer, bergab wird es auch schon mal dreistellig.
„Die Tour de France ist die größte körperliche Belastung, die man sich vorstellen kann“, erklärte Froböse, Universitätsprofessor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule in Köln, bei einer Ringvorlesung der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.
Zum Vergleich: Für die Regeneration nach einem Marathon brauche ein Körper in der Regel sechs bis acht Wochen. Die Tourfahrer sitzen hingegen drei Wochen fast täglich stundenlang auf dem Rad, können als Spitzenwerte in Sprints kurzzeitig Wattzahlen von bis zu 700 schaffen. „Sie würden es nicht schaffen, die Pedalen zu treten wie André Greipel“, prognostizierte Froböse seinen Zuhörern, „selbst, wenn Sie sich mit beiden Beinen draufstellen würden.“
Das alles muss mit möglichst wenig Gewicht geschehen: Sechs bis acht Prozent Körperfettanteil seien bei Rennradprofis üblich, so Froböse. Als Faustregel gelte: Wer eine Stunde konstant eine Leistung von 6,5 bis 7 Watt pro Kilo Körpergewicht treten könne, sei in der Lage, die Tour de France zu gewinnen. Im Umkehrschluss heißt das: Je schwerer ein Fahrer ist, desto schwieriger wird es für ihn. Dieser Trend habe sich in den vergangenen Jahren festgesetzt: „Die einzige Möglichkeit, die Leistung noch zu verbessern, ist, Gewicht zu verlieren.“
Während der Tour dürfen die Fahrer allerdings nicht viel abnehmen, sonst schwindet auch die Kraft. „Die guten Fahrer verlieren pro Tour etwa zwei Kilo Gewicht, die schlechten mehr.“ Das Gewicht zu halten, ist Höchstarbeit: Doppeltes Frühstück morgens mit vielen Kalorien — daher starteten die meisten Etappen immer erst mittags —, dazu hochkalorische Nahrung während der Fahrt. Und das bei voller Belastung: Die Fahrer trainieren, auch dann zu essen, wenn sie am absoluten Limit sind.
Gleiches gelte fürs Trinken: Bis zu 14 Liter Wasser verlieren die Fahrer pro Etappe. Es helfe aber nichts, einfach in großen Mengen nachzukippen: Der Körper könne nur 0,8 Liter Flüssigkeit pro Stunde verarbeiten, so Froböse: „Daher hängen die Fahrer nachts oft an Infusionen, um den Flüssigkeits- und Kalorienverlust noch auszugleichen.“ Wer zu wenig trinke oder esse, merke das sofort: „Schon bei einem Prozent Wasserverlust hat man eine verminderte Ausdauer“, erklärte der Sportwissenschaftler. Ab fünf bis zehn Prozent setze Schwindel ein.
Die Tour de France, so schätzt es der Experte ein, sei „ein echter Leidensweg“. Sportler gelten als die neuen Gladiatoren — gesund sei das nicht unbedingt. „Ich glaube, dass uns die Vernunft bei körperlichen Aktivitäten entglitten ist“, sagt Froböse.