Djokovic vor dem Tennis-Zenit
Paris (dpa) - Alles klar für Novak Djokovic? Es scheint fast so. Wer soll den Serben bei den French Open nach dem Sieg gegen Rafael Nadal noch stoppen?
Gäbe es im Tennis-Jahr 2015 eine ganz gewöhnliche Saison auf Sand, der Sieger stünde wohl schon jetzt fest. Schließlich hat Djokovic in Nadal jenen Spieler aus dem Weg geräumt, der das Geschehen auf der roten Asche seit rund einer Dekade dominiert wie noch nie jemand vor ihm.
Und das auch noch mit einer Deutlichkeit, die auf diese Art und Weise niemand auch nur annähernd erwartet hatte. „Erbarmungslos“, titelte die französische Sportzeitung „L'Equipe“ nach dem 7:5, 6:3, 6:1 von Djokovic gegen den neunmaligen Paris-Champion Nadal - einer der bittersten Niederlagen in der Karriere des stolzen Mallorquiners.
Doch das Tennis-Jahr 2015 erlebt eben keine gewöhnliche Saison auf Sand, weshalb auch Djokovic weit davon entfernt war, den Triumph gegen Nadal zu lange auszukosten. Zwar sprach er, nachdem er den Spanier praktisch aus dessen Wohnzimmer vertrieben hatte, von einem „großen Sieg, an den ich mich noch lange erinnern werde“. Aber der Weltranglisten-Erste weiß trotz aller Dominanz, die er bislang in diesem Jahr ausstrahlt, dass er noch nicht am Ziel ist. Dass er den letzten Grand-Slam-Titel, der ihm in seiner illustren Sammlung noch fehlt, noch längst nicht in der Tasche hat.
Schließlich gibt es da in diesem Jahr auf einmal noch einen weiteren Spieler, der sich scheinbar traumwandlerisch sicher auf Sand bewegt: Andy Murray, an diesem Freitag Djokovics Gegner im Halbfinale. In der Vergangenheit spielte der Schotte auf diesem Belag eigentlich nie eine große Rolle. 2014 und 2011 stand er in Paris im Halbfinale, das war's. Auf der Favoritenliste tauchte der Name des Briten nie auf, wenn es im Bois de Boulogne um den Titel ging.
Doch auf einmal ist alles anders. Murray hat plötzlich seine Liebe zum langsamsten Belag der vier Grand-Slam-Events entdeckt. Mit der Empfehlung der Siege in München und Madrid reiste der 28-Jährige nach Paris und auch im Stade Roland Garros marschierte Murray bislang mit beeindruckender Selbstverständlichkeit durch das Turnier. Noch immer ist er auf Sand in diesem Jahr ungeschlagen.
Djokovic ist gewarnt. „Ich habe hier noch nichts gewonnen“, sagte der Serbe deshalb prompt, als ihn die ersten Glückwünsche zum bevorstehenden Turniersieg ereilten. „Wer glaubt, ich sei hier schon durch, der sollte sich nur mal anschauen, was Andy hier bislang gespielt hat.“
Und so erwartet der Schützling von Boris Becker auf dem Weg zu seinem persönlichen Grand Slam den „nächsten Kraftakt“. Dass es gegen einen seiner besten Kumpels auf der Tour geht, verleiht der Partie zusätzliche Würze. Djokovic und Murray kennen sich seit den Tagen auf der Junioren-Tour, der Serbe ist nur eine Woche älter als der Schotte, Murray war Trauzeuge bei Djokovics Hochzeit.
Zuletzt war das Verhältnis zwischen beiden aber etwas abgekühlt, nach der Niederlage im Endspiel der Australien Open warf Murray dem Serben unumwunden vor, geschauspielert zu haben. Djokovic wirkte im Finale angeschlagen, um dann plötzlich doch wieder topfit zu sein. Die Erinnerungen dürften eine zusätzliche Motivation für Murray sein, der sich vor der Partie betont selbstbewusst gab. Was er in den 48 Stunden bis zum Spiel machen werde, um sich in eine Position zu bringen, Djokovic gefährlich werden zu können, wurde er gefragt. „Ich denke, dass habe ich schon in den vergangenen Wochen gemacht“, sagte der Olympiasieger von 2012.