„Fühle mich wie Boris“: Djokovic im Halbfinale
Melbourne (dpa) - Boris Becker legte glückselig lächelnd den Finger auf die Lippen und versuchte Novak Djokovic zum Schweigen zu bringen.
Warum sein prominenter Trainer denn auf einmal von der Tribüne verschwunden war, wollte der frühere Australian-Open-Champion Jim Courier im Siegerinterview mit dem Weltranglisten-Ersten wissen. Becker schüttelte energisch den Kopf, hatte aber keine Chance.
„Wie jeder hier im Stadion muss auch er mal zur Toilette gehen. Aber nicht im ersten Spiel des dritten Satzes. Boris, bitte“, sagte Djokovic nach seinem bemerkenswert eindeutigen 7:6 (7:5), 6:4, 6:2-Erfolg gegen den Kanadier Milos Raonic unter dem Gelächter der 15 000 Tennisfans in der Rod-Laver-Arena von Melbourne.
Im Kampf um den Einzug ins Endspiel trifft der 27 Jahre alte Serbe am Freitag auf Titelverteidiger Stan Wawrinka. Der Schweizer gewann überraschend deutlich 6:3, 6:4, 7:6 (8:6) gegen den letztjährigen US-Open-Finalisten Kei Nishikori aus Japan. Im 25. Grand-Slam-Halbfinale seiner Karriere bietet sich Djokovic auch die Chance zur Revanche für die Viertelfinal-Niederlage vor einem Jahr.
Zunächst aber wollte der Jung-Vater den Moment des Sieges genießen und schickte noch einen Gruß an Frau Jelena und seinen drei Monate alten Sohn Stefan. „Ich habe seine Energie gespürt. Das hat mir heute geholfen“, sagte Djokovic, als auf dem Stadion-Bildschirm ein Twitter-Bild seiner Zuhause gebliebenen Familie gezeigt wurde.
Der Mittwoch im Melbourne Park war einer dieser Tage, an denen Djokovic seinem Ruf als Entertainer der Branche zu hundert Prozent gerecht wurde und an dem er nach dieser dominanten Vorstellung auch ein paar Witzchen auf Kosten Beckers machen durfte. Ohne Satzverlust zog Djokovic in das Halbfinale beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres ein - und gab im ganzen Turnier erst ein Aufschlagsspiel ab.
„Ich fühle mich wie Boris Becker auf dem Court“, sagte Djokovic und setzte später in der Pressekonferenz zu einer wahren Hymne auf den dreimaligen Wimbledonsieger an. Seit einem Jahr existiert das anfangs so belächelte Duo als Spieler-Trainer-Kombination auf der Tour.
„Sicher hat er daran einen großen Anteil“, sagte der viermalige Australian-Open-Sieger über seine auffällige neue Stärke beim Aufschlag. Mehr noch aber rühmte Djokovic die mentale Kraft, die er aus der Zusammenarbeit schöpfe. „Das war der größte Beitrag, den er mir geben konnte. Er kennt genau die Arten von Hindernissen und Herausforderungen, mentalen Herausforderungen, die ich während eines Matches bestehen muss. Besonders in späteren Turnierphasen. Dann reden wir sehr viel“, erzählte Djokovic erstaunlich offen.
Reichlich Gesprächsbedarf besteht nun vor dem Fast-schon-Klassiker im Halbfinale gegen Wawrinka. 19 Mal standen sich die Beiden bereits gegenüber, 16 Mal hieß der Sieger Djokovic. Nicht so allerdings vor einem Jahr im Viertelfinale, als Djokovic dem späteren Champion mit 7:9 im fünften Satz unterlag. 2013 wiederum verlor Wawrinka im Achtelfinale gegen Djokovic mit 10:12 im fünften Durchgang.
„Wir hatten schon einige verrückte Partien bei Grand Slams“, sagte Wawrinka. Der 29-Jährige spielt in Australien wieder groß auf und wird für Djokovic zu einem echten Gradmesser. „Ich bin nicht hier mit dem Ziel, den Titel zu verteidigen. Ich bin hier für eine neue Herausforderung, ein neues Grand-Slam-Turnier“, sagte Wawrinka. Nur zu gerne würde er Djokovic und Becker die gute Laune verderben.