Kerber will im Finale Williams-Wackler nutzen
Melbourne (dpa) - Am Tag vor dem bislang größten Spiel ihrer Karriere gab sich Angelique Kerber völlig entspannt. Beim Training mit Coach Torben Beltz kam der Spaß trotz aller Fokussierung auf das Australian-Open-Finale nicht zu kurz.
Wegen des Regens hatte die Kielerin ihre Einheit in die Halle verlegen müssen. Beim Betreten von Court 3 musste Kerber selbst schmunzeln, als sie sah, wer direkt neben ihr auf dem Platz stand. Ihre Endspiel-Gegnerin Serena Williams schlug unter dem strengen Blick ihres Trainers Patrick Mouratoglou die Bälle mit einer Wucht über das Netz, dass man sich um die Stabilität der Hallenwand ernsthafte Sorgen machen musste.
Doch Kerber machte das keine zusätzliche Angst. „Am Anfang habe ich in den Pausen mal kurz rüber geguckt“, gestand die deutsche Nummer eins, „aber ich weiß ja, was mich erwartet und was auf mich zukommt.“ Die beste Tennisspielerin der Welt wartet auf Kerber.
Williams hat im vergangenen Jahr drei der vier Major-Events gewonnen, in Melbourne hat sie bislang nicht einen Satz abgegeben. „Serena hat hier bislang beeindruckend gespielt. Daher habe ich nichts zu verlieren und kann ganz befreit aufspielen“, sagte Kerber.
Druck verspürt sie keinen. Den hatte sie vor ihrem Erstrundenspiel gegen Misaki Doi aus Japan, als sie einen Matchball gegen sich hatte. Und auch im deutschen Duell mit Annika Beck im Achtelfinale oder im Kampf um den Finaleinzug gegen Johanna Konta aus Großbritannien. Eine Niederlage in einem dieser Spiele und die Kritiker hätten sich wieder bestätigt gesehen, dass diese Angelique Kerber nie etwas Großes gewinnen wird.
Doch Kerber nahm all diese Hürden, auch jene gegen ihre Angstgegnerin Victoria Asarenka aus Weißrussland, gegen die sie zuvor noch nie hatte gewinnen können. „Ich habe in den vergangenen zwei Wochen verinnerlicht, dass ich eine der besten Spielerinnen der Welt bin“, beschrieb Kerber ihren Reifeprozess im Eiltempo. „Ich bin eine schnelle Lernerin. Wenn ich einen Fehler mache, dann will ich ihn nicht noch einmal machen.“
In der Vergangenheit hatte Kerber den Fehler gemacht, dass sie sich gerade bei den großen Turnieren zu viel Druck gemacht hatte. Zuletzt war sie bei den WTA-Finals in Singapur an der Aufgabe gescheitert, im letzten Gruppenspiel einen Satz gegen die Tschechin Lucie Safarova gewinnen zu müssen. „Danach habe ich mir geschworen, dass ich den Druck nie wieder so an mich ranlassen werde“, sagte Kerber. Sie hat sich „gnadenlos selbst reflektiert“, lobte Bundestrainerin Barbara Rittner. Sei einfach du selbst, riet ihr Idol Steffi Graf.
Und jetzt steht sie plötzlich als sechste Deutsche nach Graf, Sylvia Hanika, Anke Huber, Sabine Lisicki und Helga Niessen im Finale eines Grand-Slam-Turniers. „Dass ich später einmal sagen kann, vielleicht ja sogar irgendwann meinen Enkeln, dass ich im Finale war, das ist schon etwas ganz Besonderes“, sagte Kerber.
Dass sie gegen Williams, die im Falle eines Triumphes mit 22 Titeln mit Rekord-Grand-Slam-Turnier-Siegerin Steffi Graf gleichziehen würde, klare Außenseiterin ist, ist ihr klar. Allerdings hat Kerber die Amerikanerin 2012 im Viertelfinale von Cincinnati auch schon einmal besiegt. „Von dem Moment an war mir bewusst, dass sie jemand ist, den ich, den jeder, sehr ernst nehmen muss“, sagte Williams am Freitag über ihre Kontrahentin aus Norddeutschland.
Die Weltranglisten-Erste wird Kerber also nicht unterschätzen. Dennoch setzt die deutsche Nummer eins darauf, dass sich die 34-Jährige hin und wieder einen Wackler leistet. Dann muss sie da sein. „Ich weiß, dass ich diese Phase nutzen muss“, sagte Kerber - damit sich ihre Wunschschlagzeile erfüllt. „Kerber hat ihr erstes Grand-Slam-Turnier gewonnen“, wie sie in einem ARD-Radio-Interview sagte. Und dann könnte sie auch ihr Vorhaben vor Turnierbeginn umsetzen: Beim Titelgewinn will Kerber in den Yarra River springen.