Von Kloppern, Technikern und Elfmeterkillern

Blick ins Geschichtsbuch: So liefen die bisherigen Spiele der deutschen Nationalmannschaft gegen den Auftaktgegner Mexiko.

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Frankfurt. Noch 40 Jahre später muss er darüber lachen. „Tore mit rechts, die konnte ich eigentlich an einer Hand abzählen. Den Rechten brauchte ich ja nur zum Gartenumgraben“, sagt Hansi Müller (60), als er auf sein einziges WM-Tor angesprochen wird. Damals in Argentinien, gegen Mexiko, den ersten Gegner der deutschen Mannschaft bei der nun laufenden WM in Russland.

Dreimal haben Deutsche und Mexikaner sich bei WM-Endrunden gegenübergestanden, immer gewannen die Deutschen, aber nie war es so leicht wie am 6. Juni 1978 in Córdoba. Das argentinische Industriestädtchen steht noch immer für einen Tiefpunkt deutscher Fußballgeschichte — das 2:3 gegen Österreich zum Abschluss der WM. Und kaum einer weiß mehr, dass es auch einen Höhepunkt markierte. Das 6:0 im zweiten Gruppenspiel blieb bis 2002 der höchste WM-Sieg, dann kamen die Saudis 8:0 unter die Räder — freilich auch gegen Deutschland.

Schon mit Anpfiff war es merkwürdig, so seltsam waren die Deutschen noch nie verkleidet. Weißes Hemd und schwarze Hosen, das war wie immer — aber warum grüne Stutzen statt weiße? Müller kennt den Grund: „Damit die Schiedsrichter bei Zweikämpfen besser unterscheiden konnten, wer da wen gefoult hatte. Die Stutzen durften nicht die gleichen Farben haben.“ Und weiß trugen schon die Mexikaner, es war ihr einziger Erfolg. Dieter Müller hatte den Torreigen eröffnet, nach Hansis 2:0 dribbelte sich Zimmerpartner Karl-Heinz Rummenigge durch und verletzte bei seinem Solo noch den Keeper, der ausschied. Der Ersatzmann musste gleich den ersten Ball, einen Fernschuss von Heinz Flohe, schlucken, dann schossen Rummenigge und Flohe noch ihr jeweils zweites Tor. Mexiko war raus, Trainer Roca zog seinen Hut: „Gegen eine Mannschaft, die phasenweise wie der kommende Weltmeister aussah, hätten wir auch mit mehr als elf Spielern keine Chance gehabt“.

Dass es der einzige deutsche Sieg in Argentinien blieb, das ahnte keiner. Acht Jahre später, wir waren nun in der Kaiser-Zeit unter Teamchef Franz Beckenbauer, sah man sich in Mexiko wieder. Im Viertelfinale von Monterrey wurde am 21. Juni 1986 mehr Fußball gearbeitet denn gespielt. Nach 120 torlosen Minuten in der Glut-Hitze, es wurden 36 Grad gemessen, retteten sich zehn Deutsche nach Thomas Bertholds Platzverweis (65. Minute) ins Elfmeterschießen. Hier wurde Harald „Toni“ Schumacher zum Helden der Nation und erfüllte Rudi Völlers Prophezeiung („Du hältst zwei Dinger, sonst fresse ich meine Schuhe“). Quirarte und Servin scheiterten an ihm und am Druck, die Hoffnungen eines ganzen Landes zu erfüllen.

Toni Schumacher über das Viertelfinale 1986 gegen Mexiko und den Sieg im Elfmeterschießen, an dem Assistent Köppel mitgewirkt hat.

Aber „Toni“ hatte Helfer. Er wurde von Beckenbauers Assistent Horst Köppel per Handzeichen auf die Schützen vorbereitet, es gab ein Zeichen für Techniker und eines für „Klopper“. Schumacher: „Horst zeigte mir mit den Bewegungen der Hände nach links oder rechts auch, ob das ein Rechts- oder Linksfüßer war. Ich habe mich blind nach den Anweisungen von Horst in die jeweilige Ecke geworfen.“ Die Deutschen verwandelten alles, Pierre Littbarski schoss Mexiko aus seinem eigenen Turnier, und Beckenbauer servierte in der Kabine Champagner.

Das dritte Kapitel wurde bei der WM 1998 geschrieben, am 29. Juni im Achtelfinale von Montpellier. Und wieder musste man zittern. Bei 33 Grad warteten 33 500 Zuschauer lange auf Höhepunkte, Oliver Bierhoff traf immerhin die Latte. Nach der Pause der Schreck: Luis Hernandez, der blonde Mexikaner, versetzte drei Verteidiger und Andreas Köpke beim 0:1. 43 Minuten blieben noch, das war das Gute daran. Aber hätte Arellano eine Viertelstunde später nicht nur den Pfosten getroffen, es hätte böse enden können für den Europameister.

Luis Cesar Menotti

In der Heimat bangten seinerzeit 24,08 Millionen vor den Fernsehgeräten — Straßenfeger WM. Mit einem Kraftakt rissen die beiden Stürmer Jürgen Klinsmann (75.) und Bierhoff (87.) das Ruder noch herum, und in der Auslandspresse wurden wieder alte Klischees bemüht. „Am Ende schaffen es die Deutschen — wie immer“, stellte die Gazetta dello Sport fest, und Argentiniens Fußball-Weiser Luis Cesar Menotti kleidete sein Kompliment in herbere Worte: „Die Deutschen kommen alle aus einer Fabrik, und zwar aus einem Stahlwerk.“