Eisschnelllauf Claudia Pechsteins längstes Rennen

Die Eisschnellläuferin könnte das Monopol der Sportgerichtsbarkeit kippen. Im Frühjahr entscheidet der Bundesgerichtshof.

Claudia Pechstein kämpft in der Öffentlichkeit um ihren Ruf und vor dem Bundesgerichtshof um Schadensersatz. Foto: dpa

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Köln. Claudia Pechsteins (43) Leben scheint ein einziger Kampf zu sein. Auf dem Eis kämpft die fünffache Olympiasiegerin um Bestzeiten. Vor Gericht um mehrere Millionen Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld. Und in der Öffentlichkeit, wie am Mittwochabend in einer Jura-Vorlesung an der Uni-Köln, um ihren Ruf. „Ich kann ihnen allen versichern, ich habe niemals gedopt“, sagt die von der International Skating Union (Isu) 2009 für zwei Jahre gesperrte Eisschnellläuferin. Mit dieser Aussage reiht sie sich ein in die Riege vieler Sportler, die dem Rechtfertigungsdruck mit einem Schwur begegneten. Bei vielen ist das Kartenhaus der Lügen später zusammengebrochen.

Beim Eisschnelllauf-Weltcup in Inzell belegte Pechstein Anfang Dezember Platz acht.

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Einiges spricht aber dafür, dass der Fall bei Pechstein tatsächlich anders gelagert ist. Der Isu reichte ein erhöhter Retikulozyten-Anteil in ihrem Blut, festgestellt bei der Weltmeisterschaft 2009 in Hamar, um sie wegen Blutdopings zu sperren.

Über 3000 Meter war Pechstein in Inzell angetreten.

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Kein harter Beweis, einen positiven Doping-Test Pechsteins hat es nie gegeben. „Für mich war das der absolute Horror. Ich wusste überhaupt nicht, wie die auf solche Sachen kommen“, sagt Pechstein am Mittwochabend in der Uni. Mehrfach geht sie an diesem Abend durch ein Wechselbad der Gefühle. Zwischenzeitlich ist sie so erregt, dass sie das Mikrofon an den Juristen Jan Orth, der sie eingeladen hat, zurückgeben muss.

Pechstein spricht vom Stigma des Urteils, das zuviel für die Leistungssportlerin wurde. „Ich wollte meinem Leben ein Ende machen, weil ich mich nirgends mehr sehen lassen konnte. Jeder sah diesen Stempel auf mir.“ Doperin. Betrügerin. Sie berichtet sie von der SMS an ihren Manager, in der sie ihren Suizid ankündigt. Der wäscht ihr gerade noch rechtzeitig den Kopf. „Heute ist mir klar, dass es sich nicht lohnt, sich umzubringen. Es geht immer weiter.“

Der internationale Sportgerichtshof Cas in Lausanne bestätigte das Urteil gegen Pechstein. Wäre sie wenige Monate später aufgefallen, wäre sie vermutlich überhaupt nicht gesperrt worden. Denn selbst die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) fordert ab Dezember 2009 als Grundlage für eine Doping-Sperre mindestens zehn erhöhte Blutwerte von einem Athleten. Da war das Urteil aber bereits gefällt.

Claudia Pechstein wird am Mittwoch von ihrem Anwalt, Thomas Summerer, begleitet. Summerer, hellbrauner Nadelstreifen-Anzug, bayerischer Akzent, macht gerne lange Redepausen, wenn er von den Kniffen berichtet, mit denen er aus der Causa Pechstein einen Fall gemacht hat, der die gesamte Sportgerichtsbarkeit in Frage stellt. Er erzählt von dem medizinischen Gutachten, das belegt, dass Pechsteins erhöhte Blutwerte erblich bedingt sind. „Von ihrem Vater wird wohl keiner annehmen, dass er gedopt hat“, sagt er und macht eine eindrucksvolle Pause.

Pechstein rächt sich auf ihre Art an den Doping-Wächtern. Nach Ablauf ihrer Sperre und den ersten erfolgreichen Wettkämpfen erstattet sie Selbstanzeige wegen erhöhter Retikulozyt-Werte. Bis heute hat sich niemand bei ihr deshalb gemeldet.

Das Besondere am Fall Pechstein ist, dass er die geschlossene Welt der Sportgerichtsbarkeit in Frage stellt. Denn Pechstein klagt erst vor dem Landgericht München, dann vor dem Oberlandesgericht München auf Schadensersatz. Das OLG gibt ihr schließlich recht. Der internationale Sportgerichtshof sei kein neutrales Gericht, es fehle unter anderem am paritätischen Einfluss der Athleten auf die Wahl der Richter. Im Frühling 2016 wird nun der Bundesgerichtshof grundsätzlich über die Sportgerichtsbarkeit entscheiden. „Man kann einen Sportler nicht schlechter stellen als einen normalen deutschen Bürger“, sagt Summerer. Und nach einer langen Gedankenpause, die seine Worte noch eindrucksvoller machen sollen. „Die Grundrechte stehen nicht zur Disposition internationaler Sportverbände.“