Pechstein startet bei 20. EM am „Ort des Schreckens“
Hamar (dpa) - Ihr Fokus gilt allein Sotschi und dem Kampf um ihre zehnte Olympia-Medaille. Für Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein ist ihre 20. EM am Wochenende in Hamar somit nur eine Durchgangsstation.
„Ich konzentriere mich auf die beiden langen Strecken. Da will ich aufs Podest“, benennt die 41-Jährige ihr Ziel. „Ich werde mich auch nicht ärgern, wenn die Zeiten über 500 und 1500 Meter nicht so toll sind.“
Mit dem „Wikingerschiff“ verbindet die erfolgreichste deutsche Winterolympionikin total unterschiedliche Erinnerungen. Hier stürmte sie vor 20 Jahren über 5000 Meter zum ersten Olympiasieg, gewann zwei Jahre später auch ihren ersten WM-Titel und holte sich zahlreiche Medaillen beim Mehrkampf-WM und -EM, so auch 2006 den EM-Titel. Doch an die Nacht am Mjösa-See vom 7. auf den 8. Februar 2009 möchte sich Claudia Pechstein am liebsten gar nicht mehr erinnern. Bei der Allround-WM in Norwegen wurde sie vom niederländischen Mediziner Harm Kuipers wegen erhöhter Retikulozytenwerte aus dem Rennen genommen.
Das „Wikingerschiff“ wurde damit für sie auch zum „Ort des Schreckens“: Hamar wurde zum Ausgangspunkt ihrer größten Demütigung durch die Zweijahressperre und zugleich ihres schier endlosen Kampfes gegen den Eislauf-Weltverband ISU, der am 29. Januar mit dem nächsten Termin im Schadenersatzprozess in München seine Fortsetzung findet. Renommierte Experten machen eine vom Vater geerbte Blutanomalie als Ursache für die auffälligen Werte jener Athletin verantwortlich, die über 500 Doping-Kontrollen mit negativem Ergebnis absolvierte. Die ISU bestreitet indes weiterhin die Diagnosen der Blut-Experten.
So nimmt Pechstein auf dem Weg nach Sotschi nur die positiven Eindrücke mit auf das schnelle Eis. „Ich habe da sehr schöne Erfahrungen gemacht. Hamar bleibt eine meiner Lieblingsbahnen“, sagte sie. „Das, was in dieser Nacht geschehen ist, hätte auch irgendwo anders passieren können. Mit Hamar hat das nichts zu tun“, meinte Pechstein schon bei ihrem WM-Auftritt im Vorjahr, als sie wegen einer schweren Grippe erstmals einen Wettkampf abbrechen musste.
Ähnliches soll ihr diesmal nicht passieren. „Ich bin fit, fühle mich gut“, kündigte sie vor dem EM-Rennen an. Und ihr Lebensgefährte Matthias Große fügte hinzu: „Wir haben alles vermieden, was an die Probleme im vergangenen Jahr erinnern könnte und haben daher auch ein anderes Hotel gebucht.“
Wenn sie ihre Serie mit vier Podestplätzen in diesem Winter fortsetzt, kann Pechstein locker verschmerzen, wenn es am Ende nicht klappt, das Medaillen-Dutzend bei europäischen Titelkämpfen voll zu machen. Elf Plaketten - dreimal Gold, sechsmal Silber, zweimal Bronze - stehen bei Europameisterschaften auf der Habenseite. Diesmal hat aber Vorrang, sich für Sotschi optimal in Schuss zu bringen.
Auch ihre beiden größten Rivalinnen nutzen die EM zum Testen für Olympia. Seriensiegerin Ireen Wüst, die bei der niederländischen Olympia-Qualifikation mit Topzeiten beeindruckte und in Sotschi fünf Rennen bestreiten will, hat den Titel zu verteidigen. Die tschechische Olympiasiegerin Martina Sablikova gilt nach vier EM-Titeln als ihre größte Konkurrentin beim Griff nach der Mehrkampf-Krone.
Im Feld der Herren fehlt der Rekordweltmeister Sven Kramer. Der sechsmalige Europameister aus den Niederlanden bereitet sich auf Teneriffa auf die Spiele vor und überlässt den Thron kampflos der Konkurrenz. Der Erfurter Robert Lehmann kämpft über 5000 Meter um einen Top-16-Platzierung und sein Startrecht für Olympia, ebenso wie Jennifer Bay aus Dresden über 3000 Meter. Eher ein „Schnupperkurs“ wird die EM für den 21-jährigen Berliner Jonas Pflug.