Analyse Alles, außer Mettbrötchen - Schulz strampelt sich ab
Berlin (dpa) - Neben Willy Brandt geben drei Frauen alles. Die SPD hat für ihre große „Zukunftskonferenz“ die Berliner Band „Sunset Orange“ gebucht. Sie covern Jazz- und Pop-Hits, sollen in der gut gefüllten Parteizentrale im Schatten der Brandt-Statue coole Stimmung verbreiten, die nach Sieg schmeckt.
Dass Martin Schulz jedoch am Wahlabend des 24. September zu dynamischen Beats in einen goldenen Sonnenuntergang reitet, wäre nach jetziger Lage eine Sensation.
Die Genossen schieben Frust. Alles versuchen sie, um die Kanzlerin in die Enge zu treiben. Doch es scheint der SPD wie 2009 und 2013 zu ergehen. Die Sozialdemokraten strampeln sich ab, Angela Merkel macht Kuschelwahlkampf wie gerade an den Strandkörben an Nord- und Ostsee.
Oder sie hält sich trotz ihrer Gastgeberrolle weitgehend aus der Aufarbeitung der Hamburger G20-Krawalle heraus, während sich die SPD eine Woche lang inbrünstig an dem Vorwurf abarbeitet, sie hege Sympathie für steinewerfende Extremisten, die nebenbei Kleinwagen anzünden.
Gemessen daran legt der Kanzlerkandidat einen ordentlichen, bisweilen kämpferischen Auftritt hin. Schulz will auf keinen Fall so wie Peer Steinbrück enden. Der zeigte den Deutschen am Ende des Wahlkampfes 2013 auf einem Magazin-Titel den Stinkefinger - bei der SPD haben sie akribisch nachgeschaut, diese Aktion habe auf der Zielgeraden den Absturz von 29 Prozent auf dann 25,7 Prozent mitausgelöst. Stimmen die aktuellen Umfragen, könnte Schulz ein ähnliches Ergebnis drohen. Noch hat er zehn Wochen. „Deutschland kann mehr“, ist sein Schlachtruf an diesem Sonntag.
Beispiel Digitalisierung: Schulz warnt, Deutschland verschlafe die laufende Revolution, der Bund müsse mehr tun: „Ich will, dass der Staat online geht, und zwar an 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche.“ Nach der Wahl müsse rasch ein Deutschland-Portal für alle staatlichen Dienstleistungen aufgebaut werden. Kann er Merkel damit überrumpeln? Von wegen. Kaum hat Merkel von der Schulz-Idee erfahren, sagt sie bei einer CDU-Veranstaltung im Ostseebad Zingst, es müsse ein zentrales Internet-Portal geben.
Beispiel Bildung: „Ich möchte ein Kanzler sein, der Probleme anpackt.“ In den ersten 50 Tagen werde er eine nationale Bildungsallianz schmieden, sagt Schulz. „Was ist uns wichtiger, Steuergeschenke an Reiche zu verteilen, oder dass es in der Schule nicht mehr durchs Dach regnet und unsere Kinder auf saubere Toiletten gehen können?“ Was Schulz nicht sagt, ist, die SPD stellt seit Jahrzehnten in vielen Ländern die Kultusminister, mehr Geld vom Bund ist ihnen willkommen, aber Befugnisse abgeben? Nein, danke.
Beispiel Arbeitsmarkt: Im Frühjahr, kurz nach seiner Nominierung, landete Schulz seinen bislang einzigen großen Hit im Wahlvolk. Korrekturen an den Hartz-IV-Arbeitsmarktreformen und ein längeres Arbeitslosengeld versprach er. Nun ergänzt er das um ein „Chancenkonto“. Jedermann soll bis zu 20 000 Euro vom Staat bekommen, um sich weiterzubilden. Hört sich spannend an - aber kein Wort des Kandidaten zu Kosten und Finanzierung.
Beispiel Europa: Gibt es eine Spielwiese, auf der Schulz sich auskennt, ist es Brüssel. Weniger Kohle für Länder wie Polen und Ungarn, die eine Umsetzung der Quotenlösung bei der Verteilung der Flüchtlinge verhindern, fordert der langjährige EU-Parlamentspräsident, der sich den Deutschen als der „bessere Europäer“ anbietet. Es sei ein „ausgewachsener Skandal“, wie Merkel Europa-Politik mache, Konkretes erst nach der Wahl verkünden wolle.
Kann Schulz die CDU-Chefin hier packen? Die SPD wartet gespannt auf die Vorlage des „Bayernplans“ der CSU - dann will Schulz gegen Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer koffern, die Union als zerstrittenen Haufen darstellen.
Was bleibt sonst vom 19-seitigen Schulz-Plan, der drei Wochen nach Verabschiedung des 116-seitigen Wahlprogramms entstanden ist? Erstaunlich selten nimmt Schulz das Wort Gerechtigkeit in den Mund. Das war anfangs das Fundament seiner Kampagne. Mit Blick in den 20-Prozent-Abgrund wird nun Mitte und Wirtschaft wieder die Hand gereicht. Die Herausforderungen in einem modernen Deutschland könnten nur gemeinsam mit Gewerkschaften und Wirtschaft geschafft werden, sagt Schulz.
Das riecht nach Groko-Fortsetzung. Alles werde er als Kanzler aber auch nicht liefern können, scherzt er noch. Auf einem Bildschirm im Saal hat er gelesen, was ein Zuschauer via Twitter von einem modernen SPD-Deutschland erwartet: „Ich hoffe, dass es irgendwann 3D-Drucker gibt, die mir sonntags Mettbrötchen (Zwiebeln optional) ausdrucken.“