Analyse: Berlin hofft auf neues Libyen-Kapitel

Berlin (dpa) - Viel ist jetzt von Neuanfang die Rede, wenn in Berlin über den Tod von Muammar al-Gaddafi gesprochen wird. Auch die Bundesregierung ist erleichtert darüber, dass Libyens Ex-Diktator nach dem Sturz seines Regimes einigermaßen schnell ausfindig gemacht wurde.

Zu den Umständen seines Todes äußert man sich lieber nicht. Stattdessen freuen sich Angela Merkel und ihr Außenminister Guido Westerwelle darüber, dass die Libyer nach all dem Leid jetzt endlich ein neues Kapitel aufschlagen können.

Dabei hat die schwarz-gelbe Koalition allerdings auch die eigenen Interessen im Blick: Sie hofft, dass mit dem Tod des jahrzehntelangen Machthabers jetzt auch die leidige Debatte über Deutschlands Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zum Libyen-Einsatz und die internationale Verlässlichkeit endlich ausgestanden ist. Garantiert ist das allerdings nicht.

Zum einen geht es jetzt darum, wer aus dem Ausland beim Wiederaufbau zum Zuge kommt. In sieben Monaten Krieg und Bürgerkrieg hat das eigentlich wohlhabende Libyen schwer gelitten. Der Übergangsrat der bisherigen Rebellen gab bereits zu erkennen, dass bei neuen Aufträgen Firmen aus Großbritannien und Frankreich bevorzugt werden könnten. Die Nato-Partner waren - im Unterschied zu Deutschland - beim Sturz Gaddafis vorn dabei.

Die Bundesregierung verlässt sich hingegen auf Zusagen wie von Öl- und Finanzminister Ali Al-Tarhuni, der kürzlich versicherte: „Die Deutschen kommen zwar spät. Aber jetzt schauen wir nach vorn.“ Außerdem vertraut sie auf den guten Ruf der deutschen Wirtschaft, die in Libyen schon länger im Geschäft ist. Die BASF-Tochter Wintershall, die die Ölförderung in der libyschen Wüste schon wieder aufgenommen hat, gilt als Musterbeispiel.

„Es geht nicht darum, das Fell des Bären neu zu verteilen“, heißt es in der Bundesregierung bei Leuten, die sich mit dem Thema schon länger beschäftigen. „Die Libyer sind sehr daran interessiert, bestimmte Dinge weiterzuführen.“

Ähnlich sieht das der Libyen-Experte Markus Kaim von der unabhängigen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) aus Berlin. „In Libyen selbst wird die deutsche Enthaltung schnell vergessen sein. Wo die deutsche Politik einen Preis für die Enthaltung zahlen wird, ist innerhalb der Nato selbst. Da wird es noch lange dauern, bis das Vertrauen wieder hergestellt ist.“

Natürlich geht es jetzt nicht nur um die Wirtschaft. Nicht weniger wichtig ist nach 42 Jahren Diktatur auch Hilfe beim Werden einer Demokratie. „Aufgrund seiner enormen Öl- und Gasvorkommen ist Libyen vergleichsweise wohlhabend“, sagt Kaim. „Was das Land jetzt viel nötiger braucht, ist Unterstützung beim Aufbau von Parteien, Rechtsstaat und Verfassung.“

Hier könnten parteinahe Stiftungen ins Spiel kommen wie die Adenauer- oder Ebert-Stiftung, die in diesen Bereichen international viel Erfahrung haben. Zudem hilft Deutschland bei der Versorgung der insgesamt etwa 2000 schwer verletzten libyschen Revolutionskämpfer. 150 von ihnen sollen in deutschen Kliniken behandelt werden. Etwa 40 sind bereits da.

Und natürlich hofft man - wie immer in solchen Fällen - in der Bundesregierung auch darauf, dass das Schicksal Gaddafis anderen Diktatoren eine Warnung sein wird. „Das wird in der Welt ein Nachdenken befördern, dass man sich nicht mit Gewalt an der Macht halten kann.“ Mit solchen Vorhersagen hat man sich in der Menschheitsgeschichte allerdings auch öfters schon getäuscht.