Analyse: „Boygroup“ zerrissen - FDP in höchster Not
Berlin (dpa) - Christian Lindner wollte sich die Watschen für den FDP-Mitgliederentscheid wohl nicht mehr abholen. Am Mittwochmorgen, 9.00 Uhr, zwei Tage vor Bekanntgabe des Ergebnisses, teilte der FDP-Generalsekretär seinem Parteichef Philipp Rösler mit, dass er die Brocken hinschmeißt.
Für Rösler kam der Rücktritt offensichtlich völlig überraschend. Aber er dürfte dann doch ziemlich schnell erkannt haben, was das bedeutet. Die „Boygroup“ aus Lindner, Rösler und Daniel Bahr, die angetreten war, um die FDP nach der Ära Guido Westerwelle zu retten, ist gerade auseinandergebrochen.
Während Rösler, wie es von ihm wohl erwartet wurde, gute vier Stunden später die Verdienste des 32-jährigen Parteimanagers Lindner würdigte, machten andere in der FDP-Führung ihrem Unmut Luft. „Es handelt sich um eine Art Fahnenflucht, um der Verantwortung für die FDP zu entgehen“, hieß es. Und: Damit wolle sich Lindner offenbar auch die Chance offenhalten, „zu einem späteren Zeitpunkt selbst Parteivorsitzender zu werden“. Das alles zeuge von wenig Loyalität.
Schon auf dem Parteitag Mitte November in Frankfurt kamen Gerüchte auf, es gebe große Reibungsverluste in der Zusammenarbeit zwischen Chef und Generalsekretär - für die am Boden liegende Partei eine existenzielle Gefahr. Es gelang dem Gespann Rösler-Lindner nie, die Sache der Liberalen in der Öffentlichkeit zu vermitteln, obwohl Rösler bei seiner Wahl ankündigte: „Jetzt wird geliefert.“ Sie verwendeten mehr Energie auf Personalfragen als auf Sachthemen.
Beim jüngsten Mitgliederentscheid über den Euro-Rettungsschirm schien ihre Strategie eher die zu sein, möglichst wenige Parteimitglieder zur Stimmabgabe zu bringen, anstatt offensiv die Mitglieder für ihre Sache zu mobilisieren. Es war daher zwar politisch unklug, aber für Rösler nur konsequent, dass er vorzeitig das Scheitern der Euroskeptiker verkündete, weil sie das Quorum nicht erreicht hätten.
Die Fehler der Parteispitze blieben vor allem an Rösler und Lindner hängen. Der Rest der Führungsmannschaft beobachtete das Treiben abwartend - trotz flehentlicher Appelle Röslers an die Geschlossenheit. Ein Meister des Abwartens scheint der Dritte aus der „Boygroup“. Daniel Bahr, Bundesgesundheitsminister und Chef des mächtigen NRW-Landesverbandes, zog beim Wechsel von Westerwelle zu Rösler die Fäden im Hintergrund. In kritischen Situationen der Partei Flagge zu zeigen, sei eher nicht sein Ding, kritisieren Parteimitglieder.
Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen Lindners Schritt für Rösler hat. Ist es der Anfang vom Ende der aktuellen Parteiführung? Seit Wochen wird spekuliert, dass Fraktionschef Rainer Brüderle den Parteivorsitz übernehmen könnte. Der 66-Jährige ist selbst ein Opfer des Putsches an der Parteispitze Anfang des Jahres, denn er musste sein geliebtes Wirtschaftsressort aufgeben und auf den Posten des Fraktionschefs wechseln. Trotz seines anfänglichen Widerstandes fand er sich schnell zurecht und gilt jetzt als der starke Mann in der Partei. Doch Brüderle will eigentlich nicht.
Rösler ist es gelungen, ziemlich schnell einen Nachfolgekandidaten für das Amt des Generalsekretärs zu benennen. Patrick Döring, bisher Bundesgeschäftsführer und Vize-Fraktionsvorsitzender der FDP, ist schon von der Statur her eine andere Persönlichkeit als der „Schöngeist“ Lindner. Der robuste Niedersachse gehöre auch eher der Abteilung Attacke an als Rösler und Lindner, hieß es in Parteikreisen.
Die FDP-Spitze hofft nun, dass sich die Lage der Partei stabilisiert. Dazu könnte beitragen, dass das Interesse an der neuen Personalie den Ausgang des Mitgliederentscheids überdeckt. Wenn die Partei aber über Weihnachten und Neujahr nicht zur Ruhe kommt, ist Rösler bei seinem Auftritt auf dem traditionellen Dreikönigstreffen am 6. Januar in Stuttgart in einer ähnlichen Situation wie Westerwelle ein Jahr zuvor.
Es ist dann fraglich, ob er sich bis zur entscheidenden Landtagswahl am 6. Mai in Schleswig-Holstein retten kann. Mit Personaldebatten gewinne man jedenfalls keine Wahlen, warnte der dortige FDP-Chef Wolfgang Kubicki. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hofft, dass bei einem schnellen Personalwechsel die Regierungsarbeit von Union und FDP nicht beeinträchtigt werde. Bei einem weiteren Wahldesaster der FDP im Norden wäre aber auch Feuer unterm Dach der schwarz-gelben Koalition im Bund. Spätestens dann.