Analyse: Ein schwieriger Gast
Berlin (dpa) - Ägyptens gestürzter Präsident Husni Mubarak war in Deutschland ein gern gesehener Gast. In seinen drei Jahrzehnten an der Macht kam Mubarak so oft wie kein anderer Regent aus der arabischen Welt - zu offiziellen Besuchen, für Einkaufstouren und später auch gern, weil er deutschen Ärzten besonders vertraute.
Jetzt, nach der Verurteilung zu lebenslanger Haft, muss sich der 84-Jährige mit einem Militärkrankenhaus in Kairos Vorort Al-Maadi zufriedengeben. Stattdessen ist an diesem Mittwoch nun zum ersten Mal sein Nachfolger Mohammed Mursi in Berlin - wenn auch nur für wenige Stunden.
Mursi verkürzte die Visite wegen der Krawalle in seinem Land am Dienstag stark auf nur noch einen Tag. Die Kanzlerin wird den 61-Jährigen mit militärischen Ehren empfangen und mit ihm zu Mittag essen. Auch die geplante Grundsatzrede vor der renommierten Körber-Stiftung will Mursi nach Angaben aus Kairo halten. Anschließend war nach dem ursprünglichen Programm eine offene Diskussion vorgesehen - keineswegs selbstverständlich für einen arabischen Präsidenten, der von den Islamisten kommt.
Trotzdem stellt man sich in Berlin auf eher schwierige Gespräche ein. Nach dem ersten halben Jahr hat Mursi schon viele enttäuscht. Allein in den vergangenen Tagen kamen bei Unruhen wieder mehrere Dutzend Menschen ums Leben. Hunderte wurden verletzt. Wie zu Mubaraks Zeiten gehen Armee und Polizei mit brutaler Gewalt gegen Demonstranten vor. Mursi verhängte daraufhin über drei Städte am Nil den Ausnahmezustand. Zur Ruhe gekommen ist das 84-Millionen-Einwohner-Land trotzdem noch nicht.
So lautet das überwiegende Urteil im In- und Ausland gleich: Bislang hat der Präsident gespalten statt versöhnt. Amnesty International stellte fest: „Die Menschenrechtslage hat sich auch unter dem neuen Präsidenten nicht grundlegend verbessert.“ Erschwerend hinzu kam ein Video, in dem Mursi die Israelis als „Blutsauger“, „Kriegstreiber“ und „Nachfahren von Affen und Schweinen“ beschimpft. Die Aufnahmen sind zwar fast drei Jahre alt, aber für eine Entschuldigung sah der Präsident auch keinen Anlass.
Wegen der jüngsten Krawalle wurde auch darüber spekuliert, dass der Besuch abgesagt wird. Mursi entschloss sich aber, der Krise zu trotzen - zumindest teilweise. Das zeigt, wie wichtig die Reise nach Deutschland (und dann nach Frankreich) für ihn ist. Der Ägypter hofft auf finanzielle Hilfe aus dem Westen, was die schwer angeschlagene Wirtschaft seines Land auch dringend nötig hat. In Berlin will er für Schuldenerlass und Investitionen werben - und auch dafür, dass wieder mehr deutsche Urlauber an den Nil und ans Rote Meer kommen. Mehr denn je ist der Tourismus für Ägypten eine der wichtigsten Einnahmequellen.
Zwar gab es kürzlich 2,5 Milliarden Euro neue Kredite vom Golfstaat Katar, dem wichtigsten Geldgeber der Muslimbruderschaften in den verschiedenen Ländern. Aber die Auszahlung eines schon ausgehandelten Fünf-Milliarden-Kredits vom Internationalen Währungsfonds wurde verschoben, weil Mursi sich derzeit nicht in der Lage sieht, die damit verbundenen Sparauflagen umzusetzen. Solange es mit dem IWF keine Einigung gibt, wollen auch andere Länder mit Finanzzusagen warten.
Allein in Deutschland steht Ägypten aus früheren Zeiten mit 2,5 Milliarden Euro in der Kreide. Auf den schon vereinbarten Erlass von insgesamt 240 Millionen Euro Schulden kann Mursi wegen der aktuellen Lage nicht hoffen. Allenfalls eine kleinere Tranche von etwa 30 Millionen, so heißt es in Berlin, könnte zur Umwandlung freigegeben werden. Auch mehrere Entwicklungsprojekte sollen noch einmal geprüft werden. Insgesamt geht es dabei für die Jahre 2013/14 um 360 Millionen Euro. Noch hat man sich in der Bundesregierung keine endgültige Meinung darüber gebildet, ob man Mursi vertrauen kann.
Fürs Erste kann der Präsident aber auf Wohlwollen hoffen. Außenminister Guido Westerwelle sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Bei allen Zweifeln und bei aller Kritik müssen wir der Demokratie in Ägypten eine echte Chance geben. Es wäre ein schwerer Fehler, den Gesprächsfaden jetzt auszudünnen.“ Zugleich müsse Mursi aber auch „verstehen, dass die Herrschaft des Rechts und zuverlässige Investitionsbedingungen kein merkwürdiges Anliegen der Europäer sind, sondern ureigenes ägyptisches Interesse“. Mehr darüber dann am Mittwoch bei der Kanzlerin.