Analyse: Euro und kleines Einmaleins der Machtpolitik

Berlin (dpa) - Das Ergebnis schreckte Spitzen von Union und FDP auf. Im Ringen um die Euro-Rettung folgten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht so viele Koalitionsabgeordnete, wie es bei einer Frage des Vertrauens nötig wäre.

Bei der Einbringung des Gesetzentwurfs für die Reform des Rettungsschirms EFSF konnten die beiden Fraktionen am Montagabend nicht die sogenannte Kanzlermehrheit von 311 der 620 Bundestagsabgeordneten präsentieren.

Schnell war von einem Warnschuss für Merkel die Rede. Die Opposition frohlockte, die Kanzlerin könne die eigenen Reihen nicht schließen - so werde ihre Koalition an der Euro-Krise zerbrechen. Alles gar nicht wahr, beschwichtigte Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU) am nächsten Morgen. Er geißelte solche Nachrichten als unseriös und erklärte das Einmaleins der Mehrheiten im Bundestag.

Und das geht für ihn so: Wer die Mehrheit hat, hat die Macht. Klar. Es gibt aber einen Unterschied zwischen der Kanzlermehrheit von 311 Stimmen (eine Stimme mehr als die Hälfte aller Sitze im Bundestag) und einer schwarz-gelben Mehrheit von 291 (eine Stimme mehr als alle Sitze der Opposition). Die Differenz ergibt sich aus den vielen Überhangmandaten der Union, die sie bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren errang, indem sie mehr Direktmandate durch Erststimmen gewann als ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis zustanden.

Für die Verabschiedung eines Gesetzes reicht deshalb sozusagen die einfache Mehrheit der Koalition aus. Altmaier sagte: „Zur Verabschiedung des Gesetzes brauchen wir keine Kanzlermehrheit. Wir brauchen eine Stimme mehr als die Opposition hat.“

Dort wird von einem Taschenspielertrick gesprochen. Denn so könnten sich Union und FDP viel mehr Abweichler als bei der Kanzlermehrheit leisten. „Wenn Angela Merkel die Kanzlermehrheit nicht erreicht, ist sie politisch gescheitert“, beharrte Altmaiers Amtskollege von der SPD, Thomas Oppermann. Die Euro-Rettung sei eine grundlegende Frage. Quasi eine Vertrauensfrage, die im Bundestag immer die Kanzlermehrheit erfordere.

Die Debatte ist ein Vorgeschmack darauf, wie es im Bundestag in den nächsten Monaten zugehen könnte. Die SPD hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die Rettung der Währung unterstützen wird. Insofern ist nicht mit einem deutschen Nein in der EU zu rechnen, weil es eine Mehrheit im Bundestag für die Linie der Kanzlerin geben wird. Die SPD möchte Merkel aber trotzdem zugleich demontieren.

Die CDU-Chefin versuchte in der Unionsfraktionssitzung am Montagabend, die Kritiker in den eigenen Reihen zu beruhigen. So werde etwa Griechenland keine Kredite bekommen, wenn es die Auflagen dafür nicht erfülle. Dann gehe Athen pleite, meinen Experten - und dann seien die Auswirkungen vielleicht schlimmer als bei der Finanzkrise vor drei Jahren, als die US-Investmentbank Lehman Brothers pleite ging.

Dass es kein Patentrezept gibt, machen die führenden Politiker immer wieder klar. Es habe sich ja noch nicht einmal ein Nobelpreisträger aus der Wirtschaft mit einem Konzept an die Öffentlichkeit gewagt, sagt ein CDU-Präsidiumsmitglied. Altmaier sagte, die Politik befinde sich in einem „lernenden System“. Das ist ehrlich, aber vielleicht nicht beruhigend.

Die Finanzmärkte waren bisher meist schneller und nutzten Schwächen der Politik aus. Risiko-Patienten wie das verschuldete Italien dagegen hätten es noch nicht in den Köpfen, dass sie sparen müssten, sagte Altmaier. Zu dem wieder aufgeweichten römischen Sparpaket sagte er: „Ich war stinksauer, als ich das gehört habe.“

Die Hiobsbotschaften aus Athen und Rom sind Wasser auf die Mühlen der Kritiker in Berlin. Dazu kommt die grundlegende Schwäche der FDP, die das schwarz-gelbe Bündnis weiter destabilisieren könnte. In diesem Gesamtbild muss die Regierung nun hoffen, dass die Hüter der Verfassung nicht noch höhere Hürden bei der Euro-Rettung aufbauen.

An diesem Mittwochvormittag verkündet das Verfassungsgericht in Karlsruhe sein Urteil - die Kanzlerin spricht deshalb gut eineinhalb Stunden später als geplant im Bundestag, wohl um nicht auf dem falschen Fuß erwischt zu werden.