Analyse: Generalinspektion der Bundeswehr

Berlin (dpa) - Der Befreiungsschlag ließ nicht lange auf sich warten: Drei Tage lang ließ Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) Hiobsbotschaften über eine angebliche Meuterei auf der Gorch Fock, einen mysteriösen Schießunfall in Afghanistan und geöffnete Feldpost über sich ergehen.

Am Freitagabend ging er in die Offensive. Als erste Konsequenz der dreiteiligen Bundeswehraffäre setzte er den Kapitän der „Gorch Fock“ ab, als zweiten Schritt ordnete er eine Generalinspektion der Bundeswehr an: In allen Truppenteilen soll systematisch nach Ritualen und Führungsdefiziten geforscht werden.

Die erste personelle Konsequenz der dreiteiligen Bundeswehraffäre kam überraschend schnell. Ein von Guttenberg angekündigtes Ermittlerteam war noch nicht einmal nach Argentinien aufgebrochen, wo das Segelschulschiff vor Anker liegt.

Möglicherweise hat ein Bericht in der „Bild“-Zeitung das Fass zum überlaufen gebracht. Das Boulevardblatt berichtete am Samstag ausführlich über Zeugenaussagen zum Tod einer 25-jährigen Offiziersanwärterin auf der „Gorch Fock“ im November. Über dem Artikel prangt ein Bild von einer Karnevalsfeier der Stammbesatzung nur einen Tag nach dem tragischen Unglück. Offiziersanwärter sprechen von einem „unmenschlichen“ Umgang mit dem Tod ihrer Kameradin. „Nach einer derartigen Häufung von faktisch erschütternden Berichten kann niemand zur Tagesordnung übergehen“, kommentierte Guttenberg derartige Äußerungen.

Mehr als ein Jahr lang hat der Minister in seinem Haus und in der Truppe Offenheit und Transparenz gepredigt. „Ich will Soldaten haben, die sich artikulieren und die offen über Defizite und Missstände sprechen, die ihre Einsatzrealitäten beschreiben“, skizziert er seinen Anspruch. Jetzt muss er schmerzhaft erkennen, dass sich eine über Jahrzehnte gewachsene „Unternehmenskultur“ einer Armee mit derzeit 235 000 Soldaten nicht im Handumdrehen ändern lässt.

Die Untersuchung der einzelnen Truppenteile durch den Generalinspekteur Volker Wieker kommt allerdings zur richtigen Zeit. Der Umbau der Führungsstrukturen ist Teil der Bundeswehrreform, die Guttenberg in den nächsten Wochen weiter vorantreiben wird. Die aktuellen Ereignisse werden dabei eine nicht unwesentliche Rolle spielen.

Neben der Betrachtung des Großen und Ganzen wird aber auch die Aufklärung der Einzelfälle weitergehen - und die bergen noch Gefahren für den Minister. Anfang der Woche wird ein erster Zwischenbericht zu der geöffneten Feldpost aus einem Vorposten der Kampftruppen in der afghanischen Unruheprovinz Baghlan erwartet. Ob die Verantwortung dafür innerhalb der Bundeswehr liegt, ist noch offen. Die etwa ein Dutzend unrechtmäßig geöffneten Briefe wurden von einem afghanischen Unternehmen von dem Vorposten in das Hauptquartier der Bundeswehr in Masar-i-Scharif transportiert.

Der Tod eines 21-jährigen Hauptgefreiten durch einen Schuss aus der Pistole eines Kameraden am 17. Dezember 2010 wird von der Staatsanwaltschaft Gera untersucht. Ob es zu einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung kommt, wird sich wahrscheinlich erst in Wochen entscheiden. Heikel für Guttenberg sind aber die Informationspannen in diesem Fall, die an die Kundus-Affäre nach der Bombardierung zweier Tanklaster im September 2009 erinnern.

Wieder gibt es einen Feldjägerbericht, der dem Minister erst zwei Wochen nach dem Wehrbeauftragten und eine Woche nach der Staatsanwaltschaft vorgelegt wurde. Auch das Parlament wurde unzureichend informiert. Die einzige schriftliche Unterrichtung des Verteidigungsausschusses, die es im Dezember zu dem Vorfall gab, fiel weit hinter das zurück, was Guttenberg bereits Tage vorher bei einem Afghanistan-Besuch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Journalisten gesagt hatte.

In einer Unterrichtung der Obleute der Fraktionen sollen am Freitag nach Teilnehmerangaben Generalinspekteur Volker Wieker und der Chef des Einsatzführungskommandos, Rainer Glatz, die Verantwortung für die Informationspannen übernommen haben. Für den Grünen-Abgeordneten Omid Nouripour entlastet das den Minister aber nicht. In Guttenbergs Namen seien „Falschinformationen“ an das Parlament weitergeleitet worden, sagt er. Der Minister trage also die Verantwortung für die Pannen.

Guttenberg selbst nennt solche Vorwürfe „unanständig“. Zu einer Entlassung von Spitzenpersonal wie in der Kundus-Affäre dürfte es zunächst einmal nicht kommen. Guttenberg hat sich bereits demonstrativ hinter den Inspekteur der Marine gestellt und Wieker zum Chefaufklärer der Affären gemacht. Die Opposition wird den Druck auf den Minister allerdings aufrecht erhalten. Als erste Fraktion brachte am Wochenende die Linke einen Untersuchungsausschuss des Bundestags ins Gespräch.