Analyse: Kaiser Akihito kommt spät

Tokio/Köln (dpa) - Bilder von verzweifelten Menschen und verwüsteten Städten und Dörfern in Japan schockieren die Welt, die atomare Katastrophe lässt zittern. Das Land kämpft an allen Fronten. Regierungsmitglieder, allen voran Sprecher Yukio Edano, treten rund um die Uhr im Blaumann vor die Presse.

Einer fehlte bislang: Kaiser Akihito. Der Tenno - „Himmlischer Herrscher“ - meldete sich erst nach längerer Funkstille am Tag sechs der Katastrophe in einer Video-Botschaft mit tröstenden Worten.

„Ich bete für die Sicherheit so vieler Menschen wie möglich“, sagte er. Warum ist der Kaiser nicht im Katastrophengebiet, wundern sich einige.

„Der Tenno hat sich viel zu spät geäußert, man fühlt sich schon etwas im Stich gelassen“, meint Masako Watanabe am Telefon. „Warum steht er seinem Volk nicht besser bei? Er könnte in die zerstörten Gebiete reisen oder Geld spenden“, findet sie. „Man fragt sich in diesen schweren Tagen schon, warum der Tenno nicht wirklich etwas macht.“ Zugleich glaubt sie: „Die späte Reaktion war sicher ein Fehler seines Hofamtes, der Tenno selbst kann ja nicht so, wie er will.“ Die Tokioterin Yoko (44) meint am Telefon: „Ehrlich gesagt spielt die Rede für mich keine Rolle. Er hat auch bloß abgelesen.“

Der Bonner Japanologe Prof. Peter Pantzer kann das Verhalten des 77-jährigen Monarchen teilweise nachvollziehen. „Wenn der Kaiser sofort in die Katastrophengebiete gereist wäre, hätte das Medienrummel ausgelöst und die Arbeiten gestört“, erklärt er. „Er wird fahren, aber später, wie auch bei dem Erdbeben in Kobe.“

Allerdings: „In innerjapanischen Angelegenheiten entscheidet der Kaiser nicht selbst, sondern das Hofamt und letztlich der Regierungschef. Und die Regierung hat jetzt tausend andere Sorgen.“ Auch die Botschaft des Kaisers, der als 125. Tenno Anfang 1989 den Thron bestiegen hatte, sei „mit Sicherheit über den Schreibtisch des Ministerpräsidenten gegangen“.

In der Ansprache dankte Akihito den Helfern, drückte den Opfern sein Mitgefühl aus und bat alle, nicht die Hoffnung aufzugeben. „Ich bin sehr bewegt über die Tapferkeit der Überlebenden“, sagte der Monarch, der eher selten in der Öffentlichkeit auftritt. Das Kaiserpaar war 1993 in Deutschland, wo Akihito und seine Frau Michiko bejubelt wurden. Der ein oder andere Bruch mit dem strengen Protokoll wurde dabei sehr positiv zur Kenntnis genommen.

Akihito hat etwas Modernisierung durchgesetzt. Während er selbst traditionsgemäß mit drei Jahren an amtliche Erzieher abgegeben worden war, sind seine drei Kinder - auch Kronprinz Naruhito - in der eigenen Familie großgeworden. Als Akihito vor mehr als 50 Jahren Michiko Shoda heiratete, zog erstmals eine Bürgerliche in den Palast ein.

Das dort nach wie vor sehr restriktive Leben setzt Michiko allerdings zu. Vorübergehend litt sie unter Sprachstörungen. Ihre Schwiegertochter Masako, einst selbstbewusste Diplomatin, soll mit Depressionen kämpfen.

Die Bürger können ihren Kaiser eigentlich nur zweimal im Jahr sehen - zu seinem Geburtstag am 23. Dezember und am Neujahrstag. Dann strömen Zehntausende mit Fähnchen zum Palast im Herzen Tokios, wo sich der Tenno hinter Glas auf dem Balkon zeigt. „Der Kaiser ist zwar faktisch eine Randerscheinung, aber eine sehr positive“, sagt Pantzer. „Dass sein Ansehen nicht leidet, liegt auch daran, dass er in aktuelle, strittige Angelegenheiten gar nicht involviert ist. Er hat nur repräsentative Aufgaben.“ Längst glaube niemand mehr an die „fromme Mythologie“, der zufolge das Staatsoberhaupt in ununterbrochener Folge seit fast 2700 Jahren von der Sonnengöttin abstamme.

In den Nachrichten in Japan nahmen die Worte Akihitos am Mittwoch eher wenig Raum ein. Pia Tomoko Meid von der Deutsch-Japanischen Gesellschaft in Düsseldorf erklärt das so: „Die Japaner beschäftigt jetzt doch etwas ganz anderes. Tausende werden noch vermisst. Die Opfer müssen versorgt werden, das sind die Themen, weniger der Tenno.“ Sollte es zum Super-GAU im Atommeiler Fukushima kommen, würde der Tenno trotzdem bei seinen Landsleuten bleiben, glaubt Experte Pantzer: „Es gibt im Palastkomplex sicher einen atomfesten Schutzraum für den Kaiser.“