Winzige Hoffnungsschimmer in einem Meer von Leid
Fukushima (dpa) - Die Zeiger einer Standuhr inmitten einer Trümmerlandschaft sind auf 15.30 Uhr stehengeblieben, dem Zeitpunkt, als der Tsunami den japanischen Ort Kesennuma traf und hunderte Einwohner in den Tod riss.
Wo sind die geliebten Verwandten und Freunde, wird man sich jemals wiedersehen? Sind sie tot, haben sie vielleicht doch überlebt? Die Ungewissheit über das Schicksal der Vermissten quält die Überlebenden. Manche so sehr, dass sie sich wünschen, selber tot zu sein. „Vielleicht wäre es besser, ich wäre auch gestorben“, sagt eine Frau, die benommen durch schlammige Trümmer watet, in dem Bericht eines japanischen Fernsehsenders.
Die Zahl der Toten nach dem schweren Erdbeben und Tsunami in Japan wird auf mehr als 10 000 geschätzt. Hunderttausende leben seit dem schweren Beben vom vergangenen Freitag in Notunterkünften. Trotz allen Leides sind die Menschen diszipliniert und geduldig. In langen Schlangen stehen sie an für Lebensmittel und Trinkwasser.
„Meine Tochter wurde von den Fluten weggerissen, ich weiß nicht, wo sie ist“, sagt eine Frau. Eine andere hockt weinend vor den Resten ihres einstigen Hauses, nicht weit entfernt von der Stelle in Kesennuma, wo der Tsunami zwei große Fischerboote auf die Strandpromenade schleuderte.
Hubschrauber starten und landen, um Menschen wegzubringen. Soldaten paddeln in Rettungsbooten durch überflutete Städte und sammeln Hilfesuchende ein. Retter in silber-weißen Overalls mit orangefarbenen Westen durchkämmen mit Spürhunden die Trümmer auf der Suche nach Verschütteten. In dem Tsunami-Überschwemmungsgebiet sind die Not und der tägliche Kampf ums Überleben so drängend, dass die drohende nukleare Katastrophe von Fukushima weit weg erscheint. Die Krankenhäuser der Region sind überfüllt. In den Leichenhallen ist kaum noch Platz, Särge und Trockeneis werden knapp.
In einer Notunterkunft stimmen einige Frauen einen Trauergesang an, als sie vom Tod eines Verwandten erfahren. Eine andere Frau weint, als sie erzählt, wie sie vor den Fluten davonrannte, aber ihre alte Mutter zurücklassen musste. In Ofunato sitzt ein Mann verzweifelt an der Stelle, wo er zuletzt seine Frau gesehen hat. „Ich habe ihre Hand losgelassen. Wenn ich hier sitze, habe ich das Gefühl, ihr nahe zu sein“, sagt er dem japanischen Sender NHK.
Doch es gibt auch winzige Lichtblicke: Nach drei Tagen der Verzweiflung kann eine Mutter ihre kleine Tochter wieder in die Arme nehmen. Retter fanden das vier Monate alte Baby, das in ein leuchtend pinkfarbenes Tuch gewickelt war, und brachten es ihr zurück. Der Besitzer einer Sake-Fabrik setzt alles daran, seine 50 Mitarbeiter wiederzufinden. Tränen der Freude laufen ihm übers Gesicht, als er wieder einen lebend entdeckt. Die Eheleute Chuzo Naganuma (73) und Reiko (72) feiern ihr Überleben in den Trümmern ihres Hauses, wie ein Foto der European Pressphoto Agentur zeigt. Und mehr als 90 Stunden nach der Naturkatastrophe werden zwei alte Leute in Ishinomaki City und in Otsuchi lebend aus den Trümmern geborgen.