Analyse: Letzte Frist für Griechenland
Frankfurt/Main (dpa) - Europa steht vor dem Tabubruch. Die Geldgeber scheinen die Geduld mit Griechenland zu verlieren. Ein Bankrott des hochverschuldeten Mittelmeerlandes wird wahrscheinlicher, die Euro-Mitgliedschaft Athens steht auf der Kippe.
Für Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hat ein Euro-Austritt Griechenlands („Grexit“) „längst seinen Schrecken verloren“. Volkswirte sind dagegen skeptisch, ob der gemeinsame Währungsraum einen „Grexit“ so einfach verkraften könnte.
Sie befürchten, dass die Krisenstimmung auf ganz Europa überschwappen könnte. Nicht nur die Griechen, sondern auch die Bürger in anderen Euro-Ländern könnten in Panik geraten und ihre Sparkonten plündern. Investoren könnten das Vertrauen in Krisenstaaten wie Spanien oder Italien verlieren.
„Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, was passieren wird, wenn Griechenland die Euro-Zone verlässt. Wie werden die Menschen in Portugal oder Deutschland reagieren?“, sagt Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen. „Werten Investoren den Austritt positiv oder als Anfang vom Ende der Euro-Zone?“ Auch wenn seit Wochen über einen möglichen Austritt Athens diskutiert werde, „ich bin mir nicht sicher, dass die Märkte das wirklich schon vollständig eingepreist haben“.
Griechenland will mehr Zeit, um die Sparauflagen der Troika aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) zu erfüllen. Berichten zufolge braucht Athen dadurch zusätzliche Hilfen von bis zu 50 Milliarden Euro. Viele Regierungen der Euro-Zone - allen voran Deutschland - scheinen jedoch nicht mehr bereit, neue Lasten zu schultern. Auch der IWF steht Berichten zufolge zusätzlichen Hilfen skeptisch gegenüber. Die Organisation verweist in einer Stellungnahme dazu lediglich auf den bevorstehenden Troika-Besuch. Sollten der IWF und Deutschland, Athen nicht mehr Zeit und Geld einräumen, wäre das Land wahrscheinlich gezwungen, den Euro-Raum zu verlassen, sagen Experten der Citigroup voraus.
Christian Schulz, Volkswirt bei der Berenberg-Bank, schließt in diesem Fall eine Kettenreaktion im Euro-Raum nicht aus. „Im Vergleich zum letzten Jahr hat sich nicht viel geändert.“ Der mit Milliarden ausgestattete Rettungsschirm ESM sei nach wie vor nicht einsatzbereit. „Sollte Spanien im Gefolge eines Grexit noch stärker unter Druck geraten, würden die Mittel des vorläufigen Rettungsschirms EFSF nicht ausreichen“, sagt Schulz. Falls auch Italien Hilfe benötige, dürfte selbst das Geld des ESM nicht reichen. Mit Blick auf den ESM hatten führende Politiker des Euroraums mehrfach angedeutet, man sei jetzt für alle Eventualitäten besser vorbereitet.
Staatsbankrott und „Grexit“ hätten auch Folgen für Europas Steuerzahler. Die Hilfskredite, die der EFSF und die europäischen Staaten dem Land bilateral geliehen haben, wären verloren. „Letztlich müssten die Steuerzahler den Verlust tragen“, sagt Schulz.
Die Belastungen von Banken und Versicherungen seien dagegen vergleichsweise gering. Die meisten Finanzhäuser haben ihr Engagement in Hellas in der Vergangenheit bereits drastisch verringert. „Das schließt aber nicht aus, dass die eine oder andere Bank beispielsweise in Frankreich nicht doch mit Staatsgeldern gerettet werden müsste“, sagt Schulz.
Die Gesamtschulden Griechenlands gegenüber staatlichen und privaten Gläubigern sowie bei der EZB im Rahmen des europäischen Zahlungssystems Target schätzt Schulz auf etwa 420 Milliarden Euro. „Das sind etwa 4,4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone und für sich genommen nichts, was die Euro-Zone gefährdet“.
Sollte die Krise nach einer Griechenland-Pleite jedoch eskalieren, dürfte vor allem wieder die EZB gefragt sein. Mit Zinssenkungen, billigem Geld für Banken und dem Kauf von Staatsanleihen hatten die Währungshüter Turbulenzen in der Vergangenheit immer wieder eingedämmt.