Analyse: Linke auf Identitätssuche

Erfurt (dpa) - Begeisterungsstürme fühlen sich anders an. Keine zwei Minuten relativ müden Applaus erntet Gesine Lötzsch am Freitag nach ihrer Auftaktrede auf dem Erfurter Parteitag.

Erst als einige Delegierte mit einem Transparent „Stoppt die Gier und Macht der Banken“ aufs Podium stürmen, flammt der Beifall etwas auf.

Dabei hatte Lötzsch eine einigermaßen kämpferische Rede gehalten und die Latte für einen Erfolg der Konferenz extrem hoch gelegt. „Wir haben uns hier in Erfurt zusammengefunden, um Geschichte zu schreiben“, rief sie den Delegierten in der Messehalle zu. Der Programmentwurf, der in Erfurt zur Abstimmung steht, „wird dieses Land verändern, da bin ich mir ganz sicher“.

Auf die seit Monaten laufende Führungsquerelen in ihrer Partei ging Lötzsch mit keinem Wort ein. Die quälenden Diskussionen über den Kommunismus-Begriff, die Haltung zu Israel, den Mauerbau oder kämpferische Glückwünsche an Fidel Castro in Kuba will die Spitzenriege zumindest während der drei Tage der Programmkonferenz ausblenden. Von dem Parteitag soll ein Zeichen der inhaltlichen Geschlossenheit ausgehen. Nach der Abstimmung an diesem Samstag soll klar sein, wofür die Linke steht.

Die Erarbeitung des Programms hat insgesamt vier Jahre gedauert. Zweieinhalb Jahre brauchte die Programmkommission, um einen ersten Entwurf vorzulegen. In den vergangenen eineinhalb Jahren wurde dieser gründlich diskutiert und an etlichen Stellen geändert. Trotzdem wurden für den Erfurter Parteitag 1393 Änderungsanträge eingereicht, zusammengefasst mehrere hundert Seiten - ein Vielfaches des nur 39-seitigen Leitantrags des Vorstands.

Nach großem Zoff sah es zu Beginn der Tagung trotzdem nicht aus. Den meisten Delegierten dürfte wohl bewusst sein, dass ein knappes Abstimmungsergebnis das Potenzial hätte, die Partei zu zerreißen. 90 Prozent Zustimmung haben Fraktionschef Gregor Gysi und Parteichef Klaus Ernst als Zielmarke ausgegeben.

Als erste Rednerin in der Generalaussprache ergriff eine Linke das Wort, die lange Zeit als Flügelkämpferin galt. Sahra Wagenknecht war einst Galionsfigur der radikalen Parteigruppierung Kommunistische Plattform. Jetzt gilt die stellvertretende Parteichefin als inoffizielle Kandidatin für den Fraktionsvorsitz neben Gysi und will integrierend wirken. „Wir brauchen ein Programm, das uns eint, und nicht ein Programm, das uns spaltet“, rief sie den Delegierten zu. Die bereits gefundenen Kompromisse dürften nicht wieder aufgeschnürt werden.

Auch Wagenknecht ging mit keinem Wort auf die Personalquerelen ein. Das Thema wird die Linke aber nur zwei Tage nach dem Parteitag wieder einholen. Dann entscheidet die Bundestagsfraktion, ob sie eine Doppelspitze haben will oder nicht. Auch die Diskussion über die künftige Aufstellung an der Parteispitze wird dann kaum noch aufzuhalten sein - auch wenn diese erst nächstes Jahr im Juni gewählt wird.