Analyse: Obama drückt widerwillig den roten Knopf
Washington (dpa) - Amerikanische Kampfjets fliegen wieder über dem Irak. Ausgerechnet US-Präsident Barack Obama, der den Krieg seines Vorgängers George W. Bush einst als „dumm“ bezeichnete, hat nun den Angriffsbefehl erteilt.
Die erste Attacke nahe der Stadt Erbil glich einem Muskelspiel: 220 Kilogramm schwere, von Lasern gelenkte Bomben warfen die F18-Kampfjets ab. Dabei dürfte es kaum bleiben.
Lange, vielleicht zu lange, hatte der Friedensnobelpreisträger Obama versucht, sein Militär aus Konflikten im Nahen Osten fernzuhalten. So war es in Syrien, als selbst Giftgasattacken von Machthaber Baschar al-Assad Obama nicht dazu bewegen konnten, die von ihm gezogene „rote Linie“ auch durchzusetzen.
Erst marschierten die IS-Islamisten im irakischen Falludscha ein, rückten dann nach Mossul und in Richtung Bagdad vor. Doch aus dem Weißen Haus hieß es immer wieder, man „verfolge die Situation sehr genau“. Wie ein Tropfen auf den heißen Stein schien die Entsendung von 300 Militärberatern, um den Irakern taktisch und mit Geheimdiensterkenntnissen unter die Arme zu greifen. Die von ihnen gewünschte „Einschätzung der Lage“ steht noch aus.
Nach unzähligen Schreckensmeldungen über die Verfolgung der Jesiden und Christen, die auf der Flucht vor IS-Extremisten verdursten und sich teils von Blättern ernähren, hat Obama nun den roten Knopf gedrückt.
Es ist ein Einsatz wider Willen und die Kehrtwende eines Politikers, der angetreten war, Kriege zu beenden und amerikanische Soldaten nach Hause zu holen. Bei seiner Fernsehansprache an die Amerikaner befand er seine Präsidentschaft am späten Donnerstagabend (Ortszeit) genau an der Stelle, wo sie nie sein sollte.
Für erklärte Kriegsgegner ist Obamas Entschluss ein äußerst heikler Schritt entlang eines „gefährlichen Wegs, der die Vereinigten Staaten abermals in ein blutiges und zerstörerisches Unterfangen verwickeln könnte“, schreibt die „New York Times“. Viel besser wäre es in ihren Augen, die Vereinten Nationen zu ihrer eigenen humanitären Hilfsaktion zu drängen.
Andererseits: Hätte der Oberbefehlshaber über das schlagkräftigste Militär der Welt tatenlos zusehen sollen, während sunnitische Extremisten in ihrem brutalen Zug durchs Land hilflose Minderheiten abschlachten? Zumal die Dschihadisten erst nach der Zerstörung der irakischen Institutionen nach der US-Invasion vor gut einem Jahrzehnt erstarken konnten. Es gebe keine Entschuldigung, ein „Massaker auf einem Berggipfel“ zu verhindern, schreibt die „Washington Post“. Von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde nahm der Druck auf Obama zu.
„Heute kommt Amerika zur Hilfe“, verkündete Obama im State Dining Room wie ein Erlöser. Da hatten drei Frachtflugzeuge, begleitet von Kampfjets, schon dringend benötigte Fertigmahlzeiten und 20 000 Liter Wasser über dem Sindschar-Gebirge abgeworfen. Am liebsten hätte es Obama vermutlich bei diesem humanitären Einsatz belassen.
Doch nach Ansicht einiger Kritiker kommt jede Hilfe zu spät. In ihren Augen haben die USA im „Friedhof amerikanischer Ambitionen“, wie die „New York Times“ die unendliche Geschichte namens Irak bezeichnet, alles zerstört - nun müssten sie deshalb auch Verantwortung tragen. Kämpfer, die Kräften in Nazi-Deutschland glichen, hätten sich wie ein Krebsgeschwür im Land ausgebreitet, kommentiert der Republikaner Newt Gingrich.
Doch einen ausgedehnten Krieg gegen IS-Extremisten wird Obama um jeden Preis vermeiden. Schnell, begrenzt und gezielt sollen die Angriffe sein, ähnlich wie beim Nato-geführten Libyen-Einsatz im Jahr 2011. Der Führer des weltweit stärksten Militärs zeichne sich besonders dadurch aus, dass er kaum gewillt sei, es einzusetzen, schreibt das „Wall Street Journal“.
Für die schlecht ausgerüsteten und unzureichend ausgebildeten kurdischen Kämpfer ist Obamas Entschluss ein Hoffnungsschimmer. 1991 hatte sich im Golfkrieg eine ganz ähnliche Tragödie ereignete. Kurden waren damals vor der Armee des Diktators Saddam Hussein in die Berge geflohen. Sie baten Washington um Hilfe - vergeblich.