Report: Jesiden in Deutschland bangen um Angehörige

Bielefeld/Oldenburg (dpa) - In angsterfüllten Handytelefonaten melden sich die in den nordirakischen Bergen von Islamisten eingekesselten Jesiden bei ihren Angehörigen in Deutschland. Es sind Berichte von Vertreibung und Not.

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Während Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) von einer „neuen Dimension des Schreckens“ spricht und die USA Luftangriffe gegen die Terroristen der Organisation Islamischer Staat (IS) gestartet haben, fürchten Jesiden hier um das Leben ihrer Familien.

Gegen ihre systematische Vertreibung und Ermordung demonstrieren sie seit Tagen in deutschen Fußgängerzonen. Die meisten Mitglieder der religiösen Minderheit leben in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

„Das ist Völkermord, was da passiert, bald ist unsere Kultur ausgestorben“, sagt Falar-Scharif Maschka, der mit einem Klapptisch in der Bielefelder Innenstadt Unterschriften und Spenden sammelt. Der Jeside will etwas für seine Verwandten im Irak tun. „Vor allem für die ganzen Kinder, die in der Bergregion eingeschlossen sind.“ 3300 Kilometer Luftlinie trennen ihn von den Verwandten, die von den vorrückenden IS-Milizen wegen ihrer Religion als „Ungläubige“ und „Teufelsanbeter“ verfolgt werden.

„Von Mitternacht bis heute Morgen um fünf Uhr haben wir immer wieder versucht, sie zu erreichen. Dann war Ende“, berichtet Jahfar Jonys, der am Freitag zum Sitz des Zentralrats der Jesiden nach Oldenburg gekommen ist. Seine Familie wohnte rund 40 Kilometer von der ehemaligen jesidischen Hochburg Sindschar entfernt. Jetzt ist sie in die Berge geflüchtet. „Es gibt kein Wasser und kein Essen. Vor allem den Kindern geht es schlecht“ - das ist das, was ihm seine Onkel per Handy übermittelt haben. „Unseren Verwandten geht es noch gut, aber viele Freunde berichten schon von Toten in der Region“, sagt Falar-Scharif Maschka. „Wir brauchen dringend Unterstützung, sowohl im Irak als auch in Deutschland.“

„Die Lage ist nach wie vor katastrophal, Wasser und Lebensmittel sind knapp“, fasst Hatab Omar von der Jesidischen Akademie in Hannover die letzten Informationen seiner Verwandte aus den Bergen zusammen. Am Donnerstag hätten die Islamisten zwei weitere jesidische und christliche Orte eingenommen. „Vorgestern habe ich mit meinem Cousin telefoniert, er hat seine Familie in Sicherheit gebracht und kämpft jetzt gegen die IS-Milizen im Gebirge.“ Seine Schwägerin hängt unterdessen an der Grenze zur Türkei fest. „Es gibt keine Hotels mehr oder Wohnungen, die Menschen sitzen und schlafen draußen.“

„Die machen Jagd auf die Menschen“, sagte der Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker, Kamal Sido, am Freitag in Göttingen. Angehörige in Deutschland erhielten Berichte über Dutzende getötete oder an Entkräftung gestorbene Mitglieder der kurdischen Minderheit. Zehntausende Menschen seien in den Bergen eingeschlossen und bangten um ihr Leben. Der Kontakt zur Außenwelt und zu Familienmitgliedern hier werde schwieriger, da die Flüchtlinge ihre Mobiltelefone oft nicht mehr aufladen könnten.

Selbst hier fühlen Jesiden sich vor Verfolgung nicht sicher. In Herford griffen Sympathisanten der IS-Extremisten am Donnerstag protestierende Jesiden an. Kein Einzelfall, wie Jonys berichtet: „Erst heute Morgen hat meine Tochter von einer befreundeten Familie erzählt, die Drohungen von Islamisten erhalten hat.“

Unterdessen gibt es erste Signale der Unterstützung für die eingeschlossenen Jesiden. US-Flugzeuge nahmen am Freitag erstmals Artilleriegeschütze der IS-Extremisten ins Visier, während aus der Luft auch Hilfsgüter für die Flüchtlinge abgeworfen wurden. Schwerkranke Menschen seien auch mit einem Flugzeug abgeholt worden, berichtet Omar.

Einem Bericht des kurdischen Nachrichtenportals „Basnews“ zufolge konnte kurdische Soldaten inzwischen auch eine größere Zahl der Flüchtlinge in Sicherheit bringen. Die Demonstrationen in Deutschland gehen dennoch weiter. 5000 bis 10 000 Teilnehmer werden zu einem Protest an diesem Samstag in Bielefeld erwartet. „Von unserer Seite wird es absolut friedlich ablaufen“, sagt Maschka.