Analyse: Rechte Häftlinge mit Verbindung zum NSU
Wiesbaden/Berlin (dpa) - Der kundige Leser wusste gleich, worum es geht. In der Motorradzeitschrift „Bikers News“ stand in der Ausgabe vom vergangenen Oktober eine Kleinanzeige mit dem vielsagenden Titel „AD Jail Crew (14er)“.
Normalbürgern sagt so etwas wenig, aber Rechte erkennen die Botschaften ihrer Gleichgesinnten sofort: Ein rechtsextremer Insasse aus der hessischen Justizvollzugsanstalt Hünfeld warb für ein bundesweites Knast-Netzwerk unter Neonazis. Die Gruppe ist nun aufgeflogen.
Die Symbole in der vierspaltigen Anzeige waren eindeutig. Das AD steht für „Aryan Defense“ (Verteidigung der arischen Rasse), die Zahl 14 für eine aus 14 Wörtern bestehende rassistische Losung des amerikanischen Rechtsextremisten David Lane. Als Gründungsdatum der Gruppe wurde außerdem der 20. April 2012 genannt - der Jahrestag von Adolf Hitlers Geburtstag.
Er sei Mitglied einer „wilden Horde“, die eines gemeinsam hätten, nämlich in Haft säßen, schrieb der Drahtzieher des Netzwerks in der Annonce. In seiner JVA habe er mit anderen die Gruppe ins Leben gerufen. Und es gebe schon Kontakte in andere Knäste in der Republik - etwa in Kassel, Frankfurt, Leipzig, Dresden, Kiel, Hamburg, Stuttgart, Gelsenkirchen oder Saarbrücken.
Über die Anzeige stolperten Mitarbeiter der hessischen Sicherheitsbehörden und gingen dem Netzwerk nach. In den vergangenen Wochen durchsuchten sie Hafträume und stellten Beweismaterial sicher, wie jetzt bekannt wurde. In der Zelle des Aufgebers der Annonce fanden sie eine Liste mit verschiedenen Adressen - darunter die Anschrift der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe in der JVA Köln-Ossendorf. Der Name des Mannes steht nach inoffiziellen Angaben auch auf der Liste mit 129 Namen möglicher Helfer und Helfershelfer der Terrorzelle NSU.
Als die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ Ende 2011 ans Licht kamen, diente sich der Neonazi den Behörden als Informant an - dies wurde in Wiesbaden unter der Hand bestätigt. Allerdings erwiesen sich seine Angaben wohl nicht als stichhaltig, die Ermittler stuften ihn als Großmaul ein. Die Verbindung des Knast-Netzwerks zum NSU wirft nun einige Fragen auf. Der Neonazi-Untersuchungsausschuss im Bundestag beäugt die Sache aufmerksam.
Der Kasseler Neonazi und mutmaßliche Kopf der Gruppe hatte nach Angaben hessischer Sicherheitskreise früher auch Kontakt zur - inzwischen verbotenen - „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG).
Offen ist, wie groß die neue Neonazi-Gruppe überhaupt ist und in welche Länder und welche Gefängnisse sie hineinreicht. Aus einigen Ländern heißt es bereits, bei ihnen gebe es keine inhaftierten Neonazis, die Teil des Netzes seien. Andere Länder prüfen das noch. Erste Spuren führen nach Bayern und Schleswig-Holstein. Die Behörden dort gehen Hinweisen auf Kontakte zu der Gruppe nach.
Dass sich Rechtsextreme vernetzen, auch wenn sie hinter Gittern sind, ist für Experten nichts Neues. „Der Knast ist ein idealer Ort, um Leute in ihrer Ideologie zu festigen oder sie neu für die rechte Szene zu gewinnen“, sagt Anetta Kahane, die sich mit ihrer Amadeu Antonio Stiftung seit Jahren gegen Rechtsextremismus engagiert. Die Bemühungen der Rechtsradikalen in Haftanstalten seien lange bekannt. „Nur wurde das nicht ernst genug genommen.“
In den Gefängnissen geben sich Rechtsradikale oft nicht offen zu erkennen. „Sie wirken meistens sehr angepasst, fallen nicht durch überbordende Verhaltensweisen auf“, sagt Birgit Kannegießer vom hessischen Bund der Stafvollzugsbediensteten. Allerdings seien den meisten Beamten die Häftlinge mit extremer Gesinnung bekannt.
Viele geben ihre Ideologie auch durch Tätowierungen preis. „Wir müssen uns ein vollständiges Bild von den Gefangenen machen“, sagt Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) und meint damit auch, dass einschlägige Tattoos fotografiert und in den Akten gesammelt werden.
Vorerst hat die hessische Justiz verdächtige Gefangene verlegt und voneinander getrennt, die Kontrollen bei Häftlingen verschärft. Und: Vollzugsbeamte sollen besser ausgebildet werden, damit sie rechtsextreme Umtriebe schnell erkennen.