Analyse: Rösler greift flüsternd nach der Macht
Rostock (dpa) - Seine erste große Rede sitzt: Die verunsicherten Liberalen feiern ihren Hoffnungsträger Philipp Rösler, der in Ton und Stil ganz anders ist als Westerwelle. Die neue mitfühlende FDP muss ran an die Bürger und ihre Probleme, sagt der Parteichef, Minister, Arzt und Familienmensch.
Der FDP-Parteitag feiert ihn dafür mit Standing Ovations. Der Jubel scheint ihm fast ein bisschen peinlich zu sein. Rösler atmet tief durch, nestelt an seiner rosa Krawatte, hebt beschwichtigend die Hände. Dann huscht er aus dem grellen Licht der Bühne zu seiner Frau Wiebke, lässt sich umarmen und küssen.
Nach neun Minuten Beifall setzt sich er sich einfach wieder auf seinen Stuhl auf dem Podium. Er spürt, dass er seine erste Mission erfüllt hat: Eine Stunde hat der 38-Jährige geredet - und danach ist die FDP eine Rösler- und keine Westerwelle-Partei mehr.
Kein Stakkato, keine schrille Stimme, kein erhobener Zeigefinger - für viele der 660 Delegierte ist das nach zehn Westerwelle-Jahren eine ganz neue Erfahrung. Wenn Rösler über die liberale Idee der Freiheit spricht, flüstert er fast. Und doch hängen in der Rostocker Hansemesse alle an seinen Lippen.
Rösler ist stolz, dass ausgerechnet er, das Flüchtlingskind aus Vietnam, es bis an die Spitze geschafft hat. „Es gehört zu einer liberalen und toleranten Gesellschaft dazu, dass es Politiker gibt, die halt so aussehen wie ich.“
Der neue Parteichef räumt Fehler ein - vor allem in der Steuerdebatte - und kündigt an: Die Zeit der Ein-Thema-Partei FDP sei vorbei. Aus den kalten Wirtschaftsliberalen, die Steuersenkungen nicht liefern konnten, aber der Hotelbranche einen Milliardenbonus genehmigten, will Rösler eine mitfühlende Partei machen, die eher links als rechts der Mitte steht.
Dafür reicht er auch den Gewerkschaften die Hand, die in der Zeit von Guido Westerwelle einen ziemlich großen Bogen um die FDP machten. Mitarbeiterbeteiligungen an Konzerngewinnen kann er sich vorstellen. Die Rösler-FDP soll näher an die Menschen und ihre Alltagssorgen heran.
Das will der Vater von Zwillingen seiner Partei vorleben. Er sei froh, dass Schwiegermama Ruth oder Ur-Oma Clärchen immer mal wieder auf die Kinder aufpassten, sagt Rösler und schaut vom Rednerpult aus nach rechts in die erste Reihe, wo die Familie sitzt. Andere Eltern hätten da weniger Glück, wenn die Kita zu früh zumache.
Rösler ist Familienmensch, aber er inszeniert sich damit auch ein bisschen als ein moderner Politikertyp, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen.
Die sollte sich aber keine falschen Hoffnungen machen, dass da ein liberaler Softie aus Angst vor dem Untergang die FDP in Watte packt. „Wenn Sie einen Frosch in heißes Wasser werfen, dann hüpft er sofort heraus. Wenn Sie einen Frosch in kaltes Wasser setzen und langsam die Temperatur erhöhen, wird er zuerst nichts merken und nichts machen. Und wenn er etwas merkt, dann ist es zu spät für den Frosch. So viel zum netten Herrn Rösler.“
Diese kleine Anekdote zur Wirkung sanfter Macht gönnt sich der Niedersachse, der die Ex-Fraktionschefin Birgit Homburger zur Seite und den Häuptling der alten FDP-Garde, Rainer Brüderle, aus dem Wirtschaftsamt schob, um sein Führungsteam durchzusetzen.
Es sind aber zwei paar Schuhe, einen Parteitag um den Finger zu wickeln und in den Umfragen aus der Todeszone zu kommen. Trotz 95-Prozent-Wahlergebnis und Rostocker Begeisterung gibt es genug Widersacher, die den Kurs der „Boygroup“ um Rösler, seinen Generalsekretär Christian Lindner und Gesundheitsminister Daniel Bahr kritisch verfolgen.
Schon am nächsten Sonntag wird in Bremen gewählt, im September sind Mecklenburg-Vorpommern und Berlin dran. Düstere Wahlergebnisse drohen. Rösler braucht womöglich einen langen Atem, bis sein neues FDP-Credo „Freiheit - gefühlt, gedacht, gelebt“ wirkt.