Analyse: Roter Teppich und wütende Menschenmengen
Athen (dpa) - Scharfschützen auf den Dächern, dazu Froschmänner, 7000 Polizisten, Wasserwerfer sowie abgeriegelte Straßen und Stadtbezirke: Das dürfte das Bild Athens sein, wenn an diesem Dienstag Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Hauptstadt des pleitebedrohten Landes kommt.
Im Büro des griechischen Regierungschefs Antonis Samaras brannte noch bis spät in die Nacht zum Montag das Licht. Die Beratungen zum wohl wichtigsten Besuch seit Jahren in Athen liefen das ganze Wochenende auf Hochtouren, berichten seine Mitarbeiter.
Athen erwartet von Merkel „zweimal Ja“, wie ein Mitarbeiter des Finanzministeriums am Montag sagte. Die Griechen wollen einerseits die Frist strecken, innerhalb derer die harten Sparmaßnahmen umgesetzt werden müssen. Andererseits erhoffen sie sich Anerkennung dafür, dass sie trotz zahlreicher Versäumnisse bei der Umsetzung des Sparpakts schon viel geleistet haben. Und vor allem: Die dringend benötigte nächste Hilfstranche von 31,5 Milliarden Euro müsse jetzt ausgezahlt werden.
Rentner und Arbeitslose hoffen, dass im Land endlich wieder investiert wird. „Fingerspitzengefühl ist jetzt gefragt“, meinen Diplomaten in Athen. Jedes Wort Merkels könnte von entscheidender Bedeutung für die Zukunft des Landes sein. Von der Kanzlerin werde das politische Kunststück erwartet, sich von einem - wie es die Griechen sehen - Symbol sinnlosen Sparens zur Hoffnungsträgerin für eine bessere Zukunft zu wandeln.
Gewerkschaften und Opposition machen mobil, um mit ihren Protesten Merkel zu zeigen, was sie vom Sparprogramm halten. Ein Sprecher der stärksten Oppositionspartei Bündnis der radikalen Linken (Syriza) sagte, werde man „alles mobilisieren, was man auf die Straße bringen kann“. Auch Gewerkschaftsmitglieder machen keinen Hehl daraus, dass sie ihrer Wut am Dienstag Luft machen wollen.
Für viele ist die Wahl zwischen Sparpakt und Staatsbankrott ohnehin zur Farce geworden. „Viele Menschen erleben den Bankrott schon seit zwei Jahren. Die kann man nicht mit Drohungen einschüchtern, das Land werde pleitegehen“, sagte am Montag der Präsident des Journalistenverbandes Dimitris Trimis.
Syriza-Chef Tsipras meinte: „Frau Merkel kommt nicht, um Griechenland zu helfen, sondern um die baufällige Regierung Samaras zu stützen.“ Merkel komme, um „das korrupte, verrufene und ihren Interessen unterworfene politische System zu retten“. Regierungssprecher Simos Kedikoglou warf Tsipras im Gegenzug vor, er füge dem Land mit der Beschimpfung Merkels großen Schaden zu.
Athen hat keine Illusionen. Jede Aussage Merkels stehe wohl unter dem Vorbehalt von Reformen und Sparzusagen, so die allgemeine Erwartung. „Wird Merkel zwinkern?“ fragte die Zeitung „Ta Nea“ in der Erwartung, dass offene Worte am Dienstag Mangelware sein könnten. Dennoch werde man nach dem Besuch wohl wissen, ob Griechenland einen neuen Schub mit mehr Zeit und Finanzunterstützung bekommt, oder in der Sackgasse bleibt.
Die Boulevardmedien sehen den Berliner Besuch als Herausforderung. „Alarm für Merkel“, lautete der Tenor in der Zeitung „Ethnos“. Die Demonstrationen könnten von Randalierern genutzt werden, um die Hauptstadt ins Chaos zu stürzen, so die Befürchtung. Bereits am Samstag hatte „Ta Nea“ eine Karikatur der Kanzlerin veröffentlicht, auf der sie sich mit Helm und Gasmaske gegen Tränen- und Reizgas bei den erwarteten Demonstrationen wappnet.
„Hoffentlich geht alles gut“, sagte am Montag ein einfacher Bereitschaftspolizist, der zur Verstärkung aus der Provinz in die Hauptstadt geholt wurde. „Ich habe aber große Angst. Ich muss am Syntagmaplatz vor dem Parlament stehen.“