Analyse: Vorbote für den Südwesten?
Berlin (dpa) - Lange wurde die Wahl in Sachsen-Anhalt auf Bundesebene als recht unbedeutendes Regionalereignis abgetan. Doch nun gilt sie als wichtiger Test für die Bundesparteien vor den nächsten Wahlen schon am kommenden Sonntag in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.
Die Berliner Regierungsparteien Union und FDP haben in Sachsen-Anhalt Verluste von einigen Prozentpunkten eingefahren. Für die CDU von Kanzlerin Angela Merkel kein großes Problem, weil sie dennoch stärkste Kraft bleibt. Für die Partei von FDP-Chef Guido Westerwelle eine schwere Schlappe, weil sie aus dem Landtag fliegt. Gewinner sind die Grünen. Linke und SPD sind gleichermaßen enttäuscht.
Die Frage war und ist, inwieweit die Atomkatastrophe in Japan und der postwendende Schwenk der Union und der FDP - von der Kernkraft-Befürwortung zur Distanzierung - Einfluss haben könnten auf das Verhalten der Wähler. Und - fast schon vergessen - ob der Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wegen seiner abgekupferten Doktorarbeit samt Merkels Kabinetts-Umbildung vor erst knapp drei Wochen eine Rolle spielt.
Die Grünen zogen erstmals seit 13 Jahren wieder in den Landtag von Magdeburg ein, und das deutlich. Zwar beeilte sich die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth am Sonntagabend, diesen Erfolg möglichst von dem Drama um eine Kernschmelze in dem von Erdbeben und Tsunami heimgesuchten Japan zu trennen. „Wir haben nicht profitiert von den schrecklichen Ereignissen der letzten Tage“, sagte sie. Doch eine Woche vor der Horrornachricht aus Japan lagen die Grünen in Sachsen-Anhalt nach Umfragen nur an der Fünf-Prozent-Hürde.
Nach einer ersten Umfrage der ARD war die Atomkraft bei fast einem Viertel der Grünen-Wähler das entscheidende Thema. Bei den anderen Parteien lag dieser Wert unter 10 Prozent.
Offiziell ist für die CDU der Fall in Sachsen-Anhalt klar: Den Christdemokraten gebühre als stärkster Kraft das Amt des Ministerpräsidenten, und der heißt nach dem Rückzug des langjährigen Amtsinhabers Wolfgang Böhmer (75) künftig Reiner Haseloff (57). Jens Bullerjahn vom Koalitionspartner SPD müsse schnell die Fortsetzung des schwarz-roten Bündnisses bekanntgeben.
Inoffiziell stellt sich die Bundes-CDU auf taktische Spielchen der SPD ein. Denn die Sozialdemokraten sind als nur drittstärkste Partei im Land theoretisch das Zünglein an der Waage. Sie könnten auch mit der Linken koalieren. Bullerjahn hatte vor der Wahl ein rot-rotes Bündnis unter dem Linke-Spitzenkandidaten Wulf Gallert als Regierungschef ausgeschlossen. Die Linke wiederum schließt eine rot-rote Koalition unter Führung einer kleineren SPD aus.
Die CDU rechnet nun damit, dass die SPD ihre Entscheidung nicht vor dem nächsten Wahlsonntag bekanntgeben wird. Bullerjahn sagte selbstbewusst: „Ohne uns wir nicht regiert.“ SPD-Bundestagsfraktionschef Frank-Walter Steinmeier kündigte schon einmal an, dass Bullerjahn nun Gespräche suchen werde. Die Christdemokraten wollen das nutzen, um in den nächsten Wahlkampftagen ein wenig über „rote Socken“ zu schimpfen. Denn im Gegensatz zum Osten seien im Westen viele Menschen dafür empfänglich.
Noch am Wahlabend blickten die Spitzenpolitiker aller Parteien demonstrativ zuversichtlich auf Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Der Unionsgeschäftsführer im Bundestag, Peter Altmaier (CDU), sagte: „Die Menschen wollen in schwierigen Zeiten Führung.“ In Sachsen-Anhalt habe die CDU den klaren Auftrag, auch die neue Regierung zu führen. So hofft die CDU inständig auf eine Kopie in Baden-Württemberg, wo die CDU schon immer in der Regierung war - wo aber auch Atommeiler stehen und wo die Menschen den erbitterten Kampf um das Bahnprojekt Stuttgart 21 nicht vergessen haben.
Und auch Westerwelle zeigte sich optimistisch. Sachsen-Anhalt sei nach dem schönen Ergebnis bei der Hamburg-Wahl vor einem Monat ein Rückschlag, räumte er unumwunden ein. „Wir haben heute eine bittere Niederlage erlitten.“ Aber er nutzte den Verlust zum Appell. Nun seien die FDP-Anhänger aufgerufen, die Partei im Südwesten und in Rheinland-Pfalz zu unterstützen. In Baden-Württemberg hängt daran die Regierungsbeteiligung - und wohl auch ein Stück Zukunft von Westerwelle als Parteichef.